Reichel Mathematik 6, Schulbuch

58 Räumliche Koordinatengeometrie 1 Rückblick und Ausblick Blicken wir zurück: Schon in der Unterstufe haben wir mit Koordinaten gearbeitet. Waren diese zunächst aber ein „reines“ Adressierungssystem für Punkte, so haben wir nun in der Oberstufe gelernt, damit auch andere Objekte wie Pfeile und Vektoren (durch geordnete Zahlenpaare, Zahlentripel, … – allgemein: n-Tupel) oder aber auch Strecken, Geraden und Ebenen (durch Gleichungen) zu beschreiben. Diese Art der Festlegung geometrischer Objekte versetzte uns in die Lage, mit diesen Objekten zu rechnen , dh. ge- wisse geometrische Problemstellungen wie Lageaufgaben und Maßaufgaben rechnerisch zu lösen. Einer- seits hat dies den Vorteil einer höheren Genauigkeit gegenüber Zeichnungen, sodass heute Geometrie (fast) nur noch rechnergestützt, also am Computer, betrieben wird. Andererseits erlaubt es Geometrie in „Räumen“ zu betreiben, die wir uns nicht mehr „vorstellen“ können (Vgl. die Ausführungen zum vierdi- mensionalen Raum im folgenden Exkurs!) oder die uns gar nicht als geometrische Räume bewusst werden. So würde wohl niemand die Menükarte in einem China-Restaurant mit den Menüs M1 bis M9 als neundi- mensionalen Raum auffassen, obwohl etwa die Anzahlen der an einem Tag verkauften Menüs durch den Zeilenvektor (3 1 2 1 12 1 4 1 8 1 5 1 7 1 0 1 5) „koordinatisiert“ werden kann. Das „skalare Produkt“ mit dem neundi- mensionalen Preisvektor (5,50 1 5,50 1 6,00 1 6,00 1 7,00 1 7,50 1 8,00 1 8,00 1 10,50) liefert dann eine Zahl, die den zu- gehörigen Umsatz an diesem Tag beschreibt. Da es sich hier allerdings um diskrete „geometrische“ Räume handelt, haben wir diesen Aspekt der Vektorrechnung in diesem Kapitel bewusst ausgeklammert und uns sinnvoller Weise auf die Untersuchung unseres kontinuierlichen Anschauungsraumes beschränkt. Im Alltag wird zwischen maßgeometrischen und lagegeometrischen Aufgabenstellungen nicht scharf un- terschieden. So wird Orthogonalität , obwohl auf der Winkelmessung fußend, häufig als „Lage“ interpre- tiert. Für einen „sauberen“ mathematischen Aufbau der Geometrie ist die Unterscheidung zwischen La- geaufgaben und Maßaufgaben aber wesentlich. Und dass hier wirklich ein Unterschied besteht, zeigen die folgenden Überlegungen: Die Lagegeometrie baut auf dem Begriff Inzidenz 1 auf. Für Punkte P , Geraden g und Ebenen ε gilt: P ¯ g ( P inzidiert g ) É P * g , also P liegt auf g g ¯ P ( g inzidiert P ) É g * P , also g enthält P g ¯ ε ( g inzidiert ε ) É g ² ε , also g liegt in ε . ε ¯ g ( ε inzidiert g ) É ε ³ g , also ε enthält g Mittels des Begriffs (und Zeichens „ ¯ “ für) „Inzidenz“ lassen sich also mengentheoretische Beziehungen des „Enthaltenseins“ in symmetrischer Form darstellen. Mit den in diesem Großkapitel be- sprochenen Lageaufgaben kann man entscheiden, ob Inzidenz vor- liegt. Ja man kann sogar angeben, wo der Schnittpunkt, die Schnittgerade, … – allgemein: die Durchschnittsmenge der betei- ligten (als Punktmengen aufgefassten) Objekte liegt. Ebenso las- sen sich durch Vereinigungs - oder Differenzmengenbildung von (als Punktmengen aufgefassten) Objekten komplexe geometrische Ob- jekte aufbauen. Die so genannten Volumsmodelle in CAD-Syste- men (Computer Aided Design-Systemen) bauen begrifflich auf den Symbolen und Ideen der Mengenlehre, rechnerisch auf der Vektor- rechnung auf, so wie wir sie bisher kennen gelernt haben. Dass numerische Näherungsverfahren „unsere“ exakten Formeln dabei teilweise ersetzen, tut der Aussage keinen Abbruch. Mit der mengentheoretischen Ja-Nein-Entscheidung von „Enthaltensein“ kann man aber nichts darüber aussagen, ob zB ein Punkt „fast“ mit einer bestimmten Geraden inzidiert. Mit anderen Worten: In der reinen Lagegeometrie hat man kein „Maß“, mit dem man angeben könnte, ob ein Punkt „nahe bei“ oder „weit ab von“ dieser Geraden liegt. Häufig will man aber gerade das wissen! 1 incido (lat.) … auf etwas fallen, auf jemanden stoßen, zusammenfallen 1.15 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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