Vielfach Deutsch 4, Schulbuch

89 4 Erzählende Texte interpretierend wiedergeben Zuhören/Sprechen Lesen Schreiben Grammatik/Rechtschreibung 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 „Wohl auf Geld, was?“ Der Mann setzte den Korb ab und wischte das Messer an seinen Hosenbeinen hin und her. „Nein, auf Geld überhaupt nicht“, sagte Jürgen verächtlich. „Auf ganz etwas anderes.“ „Na, was denn?“ „Ich kann es nicht sagen. Was anderes eben.“ „Na, denn nicht. Dann sage ich dir natürlich auch nicht, was ich hier im Korb habe.“ Der Mann stieß mit dem Fuß an den Korb und klappte das Messer zu. „Pah, kann mir denken, was in dem Korb ist“, meinte Jürgen geringschätzig, „Kaninchenfutter.“ „Donnerwetter, ja!“, sagte der Mann verwundert, „bist ja ein fixer Kerl. Wie alt bist du denn?“ „Neun.“ „Oha, denk mal an, neun also. Dann weißt du ja auch, wie viel drei mal neun sind, wie?“ „Klar“, sagte Jürgen, und um Zeit zu gewinnen, sagte er noch: „Das ist ja ganz leicht.“ Und er sah durch die Beine des Mannes hindurch. „Drei mal neun, nicht?“, fragte er noch einmal, „siebenundzwanzig. Das wusste ich gleich.“ „Stimmt“, sagte der Mann, „und genau so viel Kaninchen habe ich.“ Jürgen machte einen runden Mund: „Siebenundzwanzig?“ „Du kannst sie sehen. Viele sind noch ganz jung. Willst du?“ „Ich kann doch nicht. Ich muss doch aufpassen“, sagte Jürgen unsicher. „Immerzu?“, fragte der Mann, „nachts auch?“ „Nachts auch. Immerzu. Immer.“ Jürgen sah an den krummen Beinen hoch. „Seit Sonnabend schon“, flüsterte er. „Aber gehst du denn gar nicht nach Hause? Du musst doch essen.“ Jürgen hob einen Stein hoch. Da lag ein halbes Brot. Und eine Blechschachtel. „Du rauchst?“, fragte der Mann, „hast du denn eine Pfeife?“ Jürgen fasste seinen Stock fest an und sagte zaghaft: „Ich drehe. Pfeife mag ich nicht.“ „Schade“, der Mann bückte sich zu seinem Korb, „die Kaninchen hättest du ruhig mal ansehen können. Vor allem die Jungen. Vielleicht hättest du dir eines ausgesucht. Aber du kannst hier ja nicht weg.“ „Nein“, sagte Jürgen traurig, „nein, nein.“ Der Mann nahm den Korb hoch und richtete sich auf. „Na ja, wenn du hierbleiben musst – schade.“ Und er drehte sich um. „Wenn du mich nicht verrätst“, sagte Jürgen da schnell, „es ist wegen den Ratten.“ Die krummen Beine kamen einen Schritt zurück: „Wegen den Ratten?“ „Ja, die essen doch von Toten. Von Menschen. Da leben sie doch von.“ „Wer sagt das?“ „Unser Lehrer.“ „Und du passt nun auf die Ratten auf?“, fragte der Mann. „Auf die doch nicht!“ Und dann sagte er ganz leise: „Mein Bruder, der liegt nämlich da unten. Da.“ Jürgen zeigte mit dem Stock auf die zusammen- gesackten Mauern. „Unser Haus kriegte eine Bombe. Mit einmal war das Licht weg im Keller. Und er auch. Wir haben noch gerufen. Er war viel kleiner als ich. Erst vier. Er muss hier ja noch sein. Er ist doch viel kleiner als ich.“ Der Mann sah von oben auf das Haargestrüpp. Aber dann sagte er plötzlich: „Ja, hat euer Lehrer euch denn nicht gesagt, dass die Ratten nachts schlafen?“ „Nein“, flüsterte Jürgen und sah mit einmal ganz müde aus, „das hat er nicht gesagt.“ „Na“, sagte der Mann, „das ist aber ein Lehrer, wenn er das nicht mal weiß. Nachts schlafen die Ratten doch. Nachts kannst du ruhig nach Hause gehen. Nachts schlafen sie immer. Wenn es dunkel wird, schon.“ Jürgen machte mit seinem Stock kleine Kuhlen in den Schutt. der Sonnabend (nördl. D): Samstag die Kuhle (D) (ugs.): Mulde, Loch fördern  1 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=