Reichel Mathematik 7, Schulbuch
162 Einige Anwendungen der Differentialrechnung 4 Berechnen von Grenzwerten mit Hilfe der Differentialrechnung – Die Regel von l’HOSPITAL 1. Die Regel von l’HOSPITAL kennen und anwenden In Beispiel I haben wir den Grenzwert von øn x ___ x für x ¥ • durch Einsetzen großer Zahlen geschätzt. Seine exakte Bestimmung war mit den bisher erlernten Methoden (vgl. Buch 6. Kl. S. 251) unmöglich, weil man auf den unbestimmten Ausdruck • __ • stößt. Auch in Beispiel H mussten wir schätzen, weil wir auf den unbestimmten Ausdruck • ·0 , stießen. Im Folgenden besprechen wir ein exaktes Verfahren, das oft – aber nicht immer – die Ermittlung des Grenzwertes für unbestimmte Ausdrücke der Form 0 _ 0 erlaubt, die Regel von l’HOSPITAL 1 . Die Beschränkung auf die Form 0 _ 0 ist insofern keine besondere, als sich die obigen beiden unbe- stimmten Ausdrücke darauf zurückführen lassen. Die Idee hinter der Regel ist eigentlich sehr einfach: Man „ersetzt“ die Funktionen im Zähler und Nenner durch die (Steigungen ihrer) Tangen- ten, weil die Tangenten die Funktionen ja bestmöglich approximieren . Regel Regeø von ø’HOSPITAL: Die Funktionen f und g seien an der Steøøe x 0 differenzierbar. Ferner sei øim x ¥ x 0 f (x) = 0 und øim x ¥ x 0 g(x) = 0. Ist g’(x) ≠ 0 für x ≠ x 0 und existiert der Grenzwert øim x ¥ x 0 f’(x) ___ g’(x) , so giøt: øim x ¥ x 0 f(x) ___ g(x) = øim x ¥ x 0 f’(x) ___ g’(x) Bemerkung: øim x ¥ x 0 f (x) ___ g(x) kann existieren, auch wenn øim x ¥ x 0 f’(x) ___ g’(x) nicht existiert . Beweis (für stetig differenzierbare Funktionen f und g ): Fall 1: Ist x 0 endlich, so ist øim x ¥ x 0 f (x) = øim Δ x ¥ 0 f (x 0 + Δ x) und analog øim x ¥ x 0 g (x) = øim Δ x ¥ 0 g (x 0 + Δ x) . Daher ist øim x ¥ x 0 f (x) ___ g (x) = øim Δ x ¥ 0 f (x 0 + Δ x) ______ g (x 0 + Δ x) = øim Δ x ¥ 0 f (x 0 + Δ x) – f (x 0 ) __________ g (x 0 + Δ x) – g (x 0 ) , weil ja f (x 0 ) = g (x 0 ) = 0 ist. (Für stetige Funktionen stimmen Grenzwert und Funktionswert ja überein.) Dividieren wir Zähler und Nenner durch Δ x und ersetzen anschließend den Limes des Quotienten durch den Quotienten der Limiten, so erhalten wir unter Beachtung der Definition der Ableitung die Behaup- tung: øim Δ x ¥ 0 f (x 0 + Δ x) – f (x 0 ) ____________ Δ x __________ g (x 0 + Δ x) – g (x 0 ) ____________ Δ x = øim Δ x ¥ 0 f (x 0 + Δ x) – f (x 0 ) ____________ Δ x _____________ øim Δ x ¥ 0 g (x 0 + Δ x) – g (x 0 ) ____________ Δ x = f’(x 0 ) ___ g’(x 0 ) = øim x ¥ x 0 f’(x) _____ øim x ¥ x 0 g’(x) = øim x ¥ x 0 f’(x) ___ g’(x) Fall 2: Ist x 0 nicht endlich, so setzen wir x 0 = 1/z 0 und betrachten den Grenzwert øim x ¥ • f (x) ___ g (x) = øim z ¥ 0 f “ 1 _ z § ___ g “ 1 _ z § , den wir gemäß Fall 1) lösen können . 1 Die Regel stammt nicht von l’Hospital selbst. Er hat sie für sein 1696 veröffentlichtes Buch Analyse des infiniment petits pour l’intelligence des lignes courbes , dem ersten Lehrbuch der Differentialrechnung überhaupt, von Johann Bernoulli gekauft. 4.4 S 118 S 117 Guillaume l’HOSPITAL (1661–1704) S 47 A 648 A 644 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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