Reichel Mathematik 7, Schulbuch

264 Exkurs 6 (Be-)Trügerische Mathematik – Bedenkenswertes und Kurioses zum „ lockeren“ Umgang mit Statistik Wie meinte der britische Staatsmann und Schriftsteller Benjamin DISRAELI (1804–1881) trefflich: „There are three kinds of lies: Lies, damned lies and statistics”. Täglich lesen wir Schlagzeilen, deren Wahrheitsgehalt wir (zunächst) nicht kennen und deren unter- bewusster Wirkung wir uns dennoch kaum entziehen können. Selbst wenn Statistiken als „Beweise“ angeführt sind, können wir diese im Allgemeinen (mangels Rohdaten und Fachwissen) im Einzelnen nicht überprüfen. Wir (müssen darauf) vertrauen, dass die Daten „korrekt“ sind und die daraus ge- zogenen Schlüsse „stimmen“. Betrachten wir Zeitungsaufmacher wie den obigen. Nun, wer wollte nicht lieber reich als arm sein! Aber: was ist „reich“, was ist „arm“? Selbst Mindestpensi- onisten, die in Österreich als „arm“ gelten, würden in Vierte-Welt-Ländern als „reich“ eingestuft, liegt ihr Monats -Einkommen doch deutlich über den Jahres - Einkommen dortiger Berufstätiger. Rein monetäre Einkommensvergleiche ohne Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten bringen nichts. Manchenorts erfolgt die Definition von „arm“ daher darüber, was man sich „leisten“ kann. So könnte man Personen als „arm“ einstufen, die sich nicht einmal zwei der drei folgenden Dinge „leisten können“: Fernsehap- parat, ein 14-Tage-Urlaub pro Jahr, Telefon. Ersicht- lich orientiert sich dieses Kriterium an unseren Ers- te-Welt-Bedürfnissen und wird wahrscheinlich von ganz wenigen Personen in Vierte-Welt-Ländern er- füllt, selbst wenn diese nach dortigen Verhältnissen „reich“ wären. Wieder wo anders definiert man „arm“ über die „untersten 10 Prozent“ der Einkom- mensstatistik. Das hat allerdings zur Folge, dass Ar- mut praktisch unausrottbar wird. Selbst wenn Min- destpensionisten Millionäre wären – die „untersten 10 Prozent“ dieser Gesellschaft gälten als „arm“! In diesem Fall gaukelt die obige Schlagzeile dem Leser bloß auf banale Art das Armuts -Kriterium als ver- meintliche Armuts- Statistik vor. Dennoch: Wer möchte nicht „reicher“ werden? Viele Menschen haben (einem Wust von Daten in Form von Tabellen und Grafiken in Hochglanzbroschüren vertrauend) in den letzten Jahren in Fonds inves- tiert – und mitunter viel Geld verloren. Haben die Werbeleute mit ihren Tabellen und Grafiken gelogen und betrogen? Im Sinne des Strafrechts wohl eher selten. Sie haben im Sinn DISRAELIS die Daten nur (mathematisch) „geschickt“ aufbereitet und unter Verwendung möglichst unverbindlicher aber toll klingender „Fachbegriffe“ dargestellt. Und dass dies gar nicht so schwer ist, wollen wir uns an einem be- wusst simplifizierenden kuriosen Beispiel ansehen. In der Tabelle ist die „Performance“ eines Fonds in den ersten vier Jahren dargestellt: nach Jahr 1 2 3 4 Performance ( % ): +100 ‒50 +200 ‒66, _ 6 Einer mathematisch wenig versierten Person könn- te man aus den deutlich höheren prozentuellen „Gewinnen“ als „Verlusten“ die „durchschnittliche“ Gesamtperformance wahrscheinlich wie folgt weis- machen: y = (100% – 50% + 200% – 66, _ 6%)/4 ≈ 46% Wie Fig. 1 und die Ta- belle zeigen, ist dies na- türlich Hum- bug. Zeitpunkt ( x ) 0 1 2 3 4 Performance ( % ) +100 ‒50 +200 ‒66, _ 6 Kurswert ( y ) 100 200 100 300 100 Fig. 1 y x 100 0 1 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum d s Verlags öbv

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