Reichel Mathematik 7, Schulbuch
83 2.7 Rückblick und Ausblick 2 Rückblick und Ausblick 1. Die historische Entwicklung und exakte Begründung der Differentialrechnung kennen In der Astronomie, der Geodäsie, der Mechanik usw. treten unvermeidlich Messfehler auf. Für die As- tronomen, Geodäten, Physiker usw. war es daher schon immer ein Problem, die Auswirkungen dieser zwar kleinen, aber durchaus nicht vernachlässigbaren „Größen“ auf das Endergebnis der Berechnung zu studieren, insbesondere wie sich das Rechenergebnis ändert, wenn man den Messfehler durch bes- sere Messgeräte immer näher an 0 „herunterdrückt“. NEWTON verwendete für diese sehr kleine, von 0 verschiedene „Größe“ das Symbol „ o “. Unter Verwen- dung von „ o “ konnte der Zuwachs der „fließenden Größen“, wie NEWTON das Argument x nannte, durch x + o beschrieben werden, der absolute Zuwachs von zB x 3 durch (x + o) 3 – x 3 . Für den relativen Zu- wachs erhält man somit: (x + o) 3 – x 3 _______ (x + o) – x = (*) x 3 + 3 x 2 o + 3 xo 2 + o 3 – x 3 ______________ o = o·(3 x 2 + 3 xo + o 2 ) ___________ o Kürzt man durch o (es ist ja o ≠ 0 vorausgesetzt), so erhält man: 3 x 2 + 3 xo + o 2 (**) Setzt man nun o = 0 , so ergibt sich die Ableitung 3 x 2 . Diese Vorgangsweise stieß bald auf Kritik. Einmal wird o ≠ 0 vorausgesetzt, damit der Differenzenquoti- ent ( * ) definiert ist. Das andere Mal setzt man im Ausdruck (**) o = 0 , um die Ableitung zu erhalten. Zur Rechtfertigung sprach man damals von „unendlich kleinen Größen“, von „verschwindenden Zuwächsen“ oder auch davon, dass sich „ o dem Wert 0 immer mehr nähert, es im Endlichen aber nie erreicht“; erst beim „Grenzübergang“ wird o zu 0 . Alle diese Sprechweisen versuchen zwar die Idee der Differentialrechnung auszudrücken, sind aber letztlich missverständlich und streng logisch gesehen problematisch. Dieser Mangel konnte erst durch die Einführung eines geeigneten Grenzwertbegriffs und des Begriffs der stetigen Fortsetzung (vgl. Buch 6. Kl. Kap. 7.4) beseitigt werden. In Kap. 2.1 und 2.2 haben wir der Idee der Differentialrechnung durch die Verwendung des moderneren Symbols Δ x (anstelle von o ) für den (stets endlichen!) Zuwachs von x Rechnung getragen, der geforderten Exaktifizierung durch Ermittlung der stetigen Fortsetzung der Se- kantensteigungsfunktion mit Hilfe von Grenzwertberechnungen. Zum Vergleich das obige Beispiel – die Ableitung von f: y = x 3 – in moderner Schreib- und Sprechweise: s( Δ x) = (x 0 + Δ x) 3 – x 0 3 ________ Δ x ist die Sekantensteigungsfunktion von f: y = x 3 bei x 0 . Diese Funktion besitzt bei x 0 eine hebbare Unstetigkeitsstelle . Wegen øim Δ x ¥ 0 (x 0 + Δ x) 3 – x 0 3 ________ Δ x = øim Δ x ¥ 0 x 0 3 + 3 x 0 2 · Δ x + 3 x 0 ·( Δ x) 2 + ( Δ x) 3 – x 0 3 _____________________ Δ x = øim Δ x ¥ 0 (3 x 0 2 + 3 x 0 · Δ x + ( Δ x) 2 ) = øim Δ x ¥ 0 3 x 0 2 + øim Δ x ¥ 0 (3 x 0 · Δ x) + øim Δ x ¥ 0 ( Δ x) 2 = 3 x 0 2 + 3 x 0 ·0 + 0 = 3 x 0 2 hat man der Sekantensteigungsfunktion bei x 0 den Wert 3 x 0 2 zuzuweisen, um die dort befindliche Definitionslücke stetig zu schließen. Geometrisch wird dieser Wert als Tangentensteigung im Punkt (x 0 1 f (x 0 )) interpretiert. 2.7 F 2.19 Fig. 2.19 1 = x 0 y x 1 0 f x 1 0 1 s( x) s Δ Δ Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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