Reichel Mathematik 8, Schulbuch

113 3.7 Rückblick und Ausblick 3 2. Die historische Entwicklung der Grundidee der Integralrechnung kennen Die Wurzeln der Integralrechnung reichen in die griechische Antike zurück, wo unter anderem EUDOXOS von Knidos (1. Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr.) und – besonders erfolgreich – ARCHIMEDES von Syrakus (3. Jahrhundert v. Chr.) ei- ne Methode zur Berechnung von Flächeninhalten krummlinig begrenzter Flä- chenstücke entwickelt haben. Dazu zählen neben dem Kreis etwa auch Parabel- segmente . Auch die Volumina von krummflächig begrenzten Körpern wie Kreiskegel, Kreiszylinder und Kugel wurden damals schon mit Erfolg unter- sucht, wenn auch die heute bekannten Abermilliarden Stellen der dabei auftre- tenden Zahl π wie auch deren Charakter als transzendent irrationale Zahl na- türlich damals noch unbekannt waren. Ihre Idee war es, diese Flächenstücke und Körper zu zerlegen und neu zusammenzusetzen, um so den Flächen- oder Rauminhalt zu ermitteln. Für die Kreisscheibe kennen wir dies schon (Buch 6. Klasse Kap. 4.0) als schrittweises und systematisches „Ausschöpfen“  1 von innen her durch Dreiecke bzw. durch regelmäßige n-Ecke : Fig. 3.39 Und ganz analog haben wir es bei der Berechnung von Flächeninhalten unter dem Graphen stetiger Funktionen f getan: Approximation durch Unter- und Obersummen, Verfeinerung der Unterteilung des Grundintervalls und Grenzwertbildung . (Eine exakte und vollständige Beschreibung dieses Gedanken- gangs, des Aufbaus des Integralbegriffs, wie wir ihn auch diesem Abschnitt 3 zugrunde legten, stammt von Bernhard RIEMANN (1826–1866).) Fig. 3.40 x y 0 a b x y 0 a x y 0 a b b Diese Vorgangsweise hat auch noch eine philosophisch tiefere Tragweite: Von vornherein ist es im Grunde gar nicht selbstverständlich, dass und wie man krummlinig begrenzten Flächenstücken über- haupt einen Flächeninhalt zuordnen kann – insbesondere bei „Flächenstücken“ unter dem Graphen ei- ner ganz allgemeinen Funktion f , von der man nicht weiß, ob sie stetig ist. (Bei stetigen Funktionen ent- steht ja – wie wir gesehen haben – kein wirkliches Problem.) Die Definition des Integrals mittels Ober- und Untersummen zeigt einen Weg zur Lösung des Problems: die Bildung dieser Unter- und Obersummen erfolgte ja rein arithmetisch. (Auch wenn sie im Nachhinein leicht als Flächeninhalte von Rechteckssummen gedeutet werden konnte, so bedurfte ihre Definition dieser Deutung nicht.) Wenn aber nun die (gehörig gebildeten) Grenzwerte der Untersummen mit denen der Obersummen übereinstimmen, wenn also das bestimmte Integral existiert, so ist es nur allzu selbst- verständlich, diesen gemeinsamen Wert als den gesuchten Flächeninhalt zu definieren !  1 Derartige Methoden heißen Exhaustionsmethoden (exhaurire (lat.) … ausschöpfen). Archimedes von Syrakus A  261 A  356 F  3.39 F  3.40 160197-113 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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