Reichel Mathematik 8, Schulbuch

114 (Weitere) Anwendungen der Integralrechnung 3 Das mathematisch vordergründigere Problem besteht in der Berechnung bestimmter Integrale. Hierfür haben wir eine überraschende Methode kennen gelernt: Man suche eine Stammfunktion F  ​ :  a ​  x ​f​(t)·dt = F (x) von f und berechne (Hauptsatz der Integralrechnung ) den Wert  F (b) – F (a) = ​ :  a ​  b ​f​(x)·dx was zumindest für stetige Funktionen keinerlei Problem (bis auf die geschlossene Darstellung) bietet. In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur Schreibweise ​ : ​  ​f​(x)·dx . Woher kommt sie und insbesondere das dx? In der 7. Klasse (vgl. Buch 7. Kl. S. 47) haben wir den Begriff „Differential“ einer differenzierbaren Funk- tion f: y = f (x) kennen gelernt:  ​  dy __ dx ​= f ’ (x) É dy = f ’ (x)·dx Dort haben wir auch erklärt, wie das Differential dx mit der Differenz Δ x zusammenhängt. Und insbe- sondere auch im Zusammenhang mit unserer „Erklärung“ des bestimmten Integrals als „kontinuierliche Summe“ der f (x) wird klar, wie aus ​ ; ​  ​(f​(x i ) – f (x i – 1 ))· Δ x schließlich ​ : ​  ​f​(x)·dx als raffinierte Formali- sierung eines zunächst unbestimmten Ausdrucks der Form • ·0 wird. Aus der Sicht der höheren Mathematik sind die Integranden eines Integrals nicht Funktionen, sondern Differentiale . Ist y = F (x) eine Stammfunktion von f , dann ist (vgl. unsere Ausführungen zu Differential- gleichungen in Kap. 2.2) dy = F ’ (x)·dx = f (x)·dx , und wenn man links und rechts integriert:  ​ : ​  ​d​y = ​ : ​  ​F​ ’ (x)·dx = ​ : ​  ​f​(x)·dx = F (x) = y Daraus folgt (wie gewünscht): ​ : ​  ​d​y = y Das Integrieren stellt also aus dem Differential dy einer Funktion wieder die (ursprüngliche) Funktion y her. Man sieht: Ein gegebenes Differential integrieren heißt eine Funktion zu suchen, deren Differential eben das vorgegebene Differential ist. Dies erklärt auch die Namensgebung „Integrieren“ (aus dem La- teinischen: „wiederherstellen“, „ganz machen“). Diesen Zusammenhang zwischen der Differentialrechnung und der Intergralrechnung entdeckt (oder erfunden) zu haben ist – wie wir schon wissen – das Verdienst von G. W. LEIBNIZ und I. NEWTON. Die gesamte Entwicklung nicht nur innerhalb der Mathematik sondern in den Naturwissenschaften und der Technik (wie wir sie aus dem 18., 19. und 20. Jahrhundert kennen) wäre ohne sie mit Sicherheit anders gelaufen. Allerdings waren viele ihrer mathematischen Metho- den (nur) anschaulich begründet und in einem gewis- sen Sinn nicht völlig exakt. Die exakte und wider- spruchsfreie Formulierung der ganzen Theorie der Differential- und Integralrechnung wurde schließlich im 19. Jahrhundert gefunden. Hier sind neben Bern- hard BOLZANO (1781–1848) und Augustin CAUCHY (1789–1857) Bernhard RIEMANN (1826–1866) und vor allem Henri LEBESGUE (1875–1941) zu nennen, der der Integrationstheorie ihre bisher vielleicht modernste und umfassendste Fassung gab. S  90 S  62 H. LEBESGUE (1875–1941) B. RIEMANN (1826–1866) Nur zu Prüfz ecken – Eigentum des Verlags öbv

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