Reichel Mathematik 8, Schulbuch

120 Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik In diesem Kapitel wirst du • dich mit stetigen Zufallsvariablen, deren Kennzahlen und deren Verteilung beschäftigen, • insbesondere die Normalverteilung (in ihrem Zusammenhang mit der Binomialverteilung) stu- dieren und auf lebensnahe Situationen anwenden wie etwa das • Prüfen von Hypothesen und Ermitteln von Konfidenzintervallen. Wiederholung und Vorschau Wie wir schon in der 7. Klasse darlegten, liegen die historischen Wurzeln der Wahrscheinlichkeitsrech- nung bei Problemen aus dem Bereich der Glücksspiele. So wollte man zB wissen, wie groß die Wahr- scheinlichkeit für ein ganz bestimmtes Ereignis (zB 4 Asse beim Schnapsen, 3 Sechser beim Würfeln, … ) ist, und darauf aufbauend, wie groß die Gewinnerwartung bei diesem Spiel (Schnapsen, Würfeln, … ) ist. Wie wir wissen, kann man die Wahrscheinlichkeiten der genannten zusammengesetzten Ereig- nisse aus den Wahrscheinlichkeiten der zugehörigen Elementarereignisse (unter Festlegung der Art, wie gezogen bzw. gewürfelt wird) nach gewissen Regeln berechnen. Kurz: Die Aufgabe der Wahrschein- lichkeitsrechnung besteht darin, aus „bekannten“  1 Wahrscheinlichkeiten „neue“  2 Wahrscheinlichkei- ten (und andere Kennzahlen, ja ganze Verteilungen) zu ermitteln, sowie das theoretische Rüstzeug für eben diese Berechnungen (wie zB Pfadregeln, Verteilungsgesetze usw.) zu entwickeln. Die dabei verwendeten „bekannten“ Wahrscheinlichkeiten wurden entweder durch logische Überlegun- gen (Symmetrien und LAPLACE‘sche Wahrscheinlichkeit) hergeleitet oder durch statistische Untersu- chungen geschätzt. Diese oder die daraus mit Mitteln der Wahrscheinlichkeitsrechnung gewonnenen „neuen“ Wahrscheinlichkeiten wurden sodann mittels statistischer Untersuchungen getestet. Kurz: Die Aufgabe der Statistik ist es, das gesammelte Datenmaterial so aufzuarbeiten und darzustellen ( beschreibende Statistik ), dass man anhand dessen Wahrscheinlichkeiten (und andere Kennzahlen, ja die Verteilung als Ganzes) schätzen und testen kann ( beurteilende Statistik ). Man sieht: Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik sind sehr eng miteinander verbunden und wer- den daher üblicherweise unter dem Namen Stochastik (Lehre von den zufälligen Prozessen) zusam- mengefasst. Heute hat sich die Stochastik von ihren historischen Wurzeln des Glücksspiels weit entfernt; sie besitzt mannigfache Anwendungen in der Technik (Zuverlässigkeitstheorie, Hydrodynamik, … ), in den Natur- wissenschaften (Vererbungslehre, Gaskinetik, Quantentheorie, … ), in den Sozial-, Human- und Wirt- schaftswissenschaften (Entscheidungstheorie (Partnerwahl, Berufswahl), Wahlprognosen, Börsenkurse (vgl. den Exkurs zu diesem Kapitel), … ) usw. Die Stochastik ist ein Paradebeispiel dafür, wie Mathema- tik angewendet wird und was Mathematik „ist“. In der 7. Klasse haben wir uns ausschließlich mit diskreten Verteilungen befasst, insbesondere mit der Binomialverteilung. Die „Unhandlichkeit“ dieser Verteilung für große Stichprobenumfänge n und insbe- sondere bei Umkehraufgaben veranlasste die Mathematiker nach Näherungsformeln für das Vertei- lungsgesetz der Binomialverteilung zu suchen. Das Ergebnis war eine Formel, die eine stetige Verteilung beschreibt, die man als Normalverteilung bezeichnet . Mit Hilfe dieser neuen Verteilung lassen sich die typischen Aufgabenstellungen der beurteilenden Statistik wie das Testen von Hypothesen oder das Schätzen von Parametern sehr viel leichter und mit für praktische Zwecke durchaus ausreichender Genauigkeit durchführen. Durch die Verwendung einer stetigen Verteilung ergeben sich allerdings in theoretischer Hinsicht einige Änderungen hinsichtlich der Begriffe Wahrscheinlichkeit, Erwartungswert usw. Wir werden darauf in Kap. 4.1 und 4.10 eingehen.  1 „Bekannt“ ist hier hypothetisch gemeint. Wahrscheinlichkeiten sind immer fiktive Zahlen.  2 „Neu“ bedeutet hier keine neue Information, bloß ein „anderes Auswerten“ der Angaben. 4.0 K  4.1 K  4.2 K  4.6‒4.8 K  4.9 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=