Reichel Mathematik 8, Schulbuch
150 Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik 4 Die Verbreiterung des Annahmebereiches verringert natürlich die Chancen, dass der beobachtete Wert außerhalb dieses Intervalls liegt, und damit die Chance, die zu testende Hypothese zu verwerfen. Diese Verringerung der Irrtumswahrscheinlichkeit wird also um den Preis erkauft, nur in ganz extremen Fäl- len Hypothesen als (vermeintlich) falsch zurückweisen zu können. Zur Verdeutlichung der damit verbundenen Problematik betrachten wir eine typische Anwendung eines Hypothesentests in der Wirtschaft, nämlich ein Warenübernahmeverfahren. Aufgrund eines vom Produ- zenten behaupteten Ausschussanteils p (Hypothese H ) vereinbaren Produzent und Käufer, unter wel- chen Voraussetzungen letzterer die Ware annehmen muss (Annahmebereich) bzw. zurückschicken darf (Ablehnungsbereich). Bei Anlieferung der Ware wird eine Zufallsstichprobe von vereinbartem Umfang n gezogen und aufgrund des Stichprobenergebnisses entschieden. Je kleiner der Ablehnungsbereich ist, umso kleiner ist das Produzentenrisiko , eine Ware, die den Vereinbarungen (Qualitätszusagen) ent- spricht, zurückgeschickt zu erhalten (Fehler 1. Art), umso größer ist jedoch das Käuferrisiko , eine Ware zu übernehmen, die nicht den Vereinbarungen (Qualitätserfordernis) entspricht (Fehler 2. Art). Umge- kehrt: Je größer der Ablehnungsbereich ist, umso größer ist das Produzentenrisiko (Fehler 1. Art), umso kleiner ist jedoch das Käuferrisiko (Fehler 2. Art). Man sieht: Die entgegengesetzten Interessen von Pro- duzent und Käufer zur Minimierung des für sie relevanten Fehlers 1. bzw. 2. Art führen zwangsläufig dazu, einen für beide Teile akzeptablen Ablehnungsbereich auszuhandeln . Die folgende Tabelle fasst den Sachverhalt allgemein zusammen: Entscheidung/Faktum H ist wahr H ist falsch H wird verworfen Entscheidung ist falsch Fehler 1. Art H wird zu Unrecht verworfen Entscheidung ist richtig H wird nicht verworfen Entscheidung ist richtig Entscheidung ist falsch Fehler 2. Art H wird zu Unrecht angenommen 4. Ein vorgegebenes Stichprobenereignis beurteilen Aus dem eben Gesagten folgt, dass die Festlegung des Ablehnungsbereiches vor der Warenlieferung er- folgen muss. Allgemein hat man beim Testen von Hypothesen wie folgt vorzugehen: – Zuerst legt man das Testverfahren (Prüfgröße, Stichprobenumfang, kritischer Bereich) fest und über- zeugt sich durch Berechnung der Irrtumswahrscheinlichkeit von der Zuverlässigkeit des Testverfahrens, – dann erst zieht und analysiert man die Stichprobe, – zuletzt trifft man aufgrund des Stichprobenergebnisses eine konkrete Entscheidung. Im Alltag wird immer wieder gegen diese Grundregel für „Unvoreingenommenheit“ verstoßen, zum Teil deswegen, weil erst ein bereits vorliegendes Stichprobenereignis Zweifel an der Gültigkeit einer be- stimmten Hypothese aufkommen lässt. In diesem Fall betrachtet man das Stichprobenergebnis als (mög- lichen) Rückweisungspunkt, dh., man fasst den erhobenen Wert und alle noch „ungewöhnlicheren“ Werte (dh. alle für die Annahme von H noch ungünstigeren Fälle) zum kritischen Bereich K zusammen und berechnet für diesen die Eintrittswahrscheinlichkeit. Ist die Eintrittswahrscheinlichkeit kleiner als ein zuvor festgelegter Wert, so verwirft man die Hypothese. Weøche Mängeø hat diese Vorgangsweise? Das Verwerfen der Hypothese H erfolgt hier mit einer „Irrtumswahrscheinlichkeit“, die vom konkreten Stichprobenergebnis – und damit vom Einzelfall – abhängt. Bei „korrekter“ Vorgangsweise ist die Irr- tumswahrscheinlichkeit jedoch ein vom Einzelfall unabhängiger , verfahrenstypischer Fehler. Erøäutere die Probøematik an einem Gerichtsverfahren ! A 548 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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