Sexl Physik 8, Schulbuch
| 136 4.4 Offene Fragen a) Die Frage nach der Masse Wird sich das Universum bis in alle Ewigkeit ausdehnen oder reicht die gravi- tative Anziehung der Massen des Universums aus, um die Expansion zu stoppen und umzukehren? Diese Frage ist innerhalb der Newton’schen Gravitationstheorie einfach zu beantworten, wenn man die mittlere Dichte ρ des Universums kennt. Es gibt nämlich eine kritische Dichte ρ c , bei der die Fluchtbewegung der Galaxien nach unendlich langer Zeit zum Stillstand kommt. Wir bestimmen ρ c , indem wir die derzeitige Geschwindigkeit einer beliebig gewählten Galaxie v = H · r der Flucht- geschwindigkeit gleichsetzen, die einer Kugel mit der Dichte ρ c und dem Radius r entspricht. Mit ⋅ v = , M = und v = H · r ( G Gravitationskonstante) ergibt sich ρ c = . In dieser Newton’schen Näherung müsste das Universum für ρ < ρ c immer weiter expandieren; für ρ > ρ c hört die Expansion irgendwann einmal auf und das Uni- versum kollabiert. Die kritische Dichte hat allerdings nur dann die obige Form ρ c , wenn die Gravita- tionswechselwirkung allein durch die Masse bestimmt ist. Im Allgemeinen trägt jedoch auch der Druck zum Gravitationsfeld bei. Dieser Beitrag ist zwar für „nor- male“ Materie vernachlässigbar, nicht jedoch für die bereits erwähnte Dunkle En- ergie . Diese hat zwar positive Massendichte ρ , aber negativen Druck p = ρ c 2 . Der negative Druck bewirkt die Beschleunigung der Expansion des Universums. Ver- schiedene, voneinander unabhängige Beobachtungsresultate, insbesondere über die Expansionsgeschichte des Universums und die kosmische Hintergrundstrah- lung, führen übereinstimmend zu dem Schluss, dass die gesamte Massendichte des Universums sehr nahe beim kritischen Wert ρ c liegt und die Dunkle Ener- gie mit 73 % Massenanteil sogar der Hauptbestandteil des Universums ist. Wegen der Dominanz der Dunklen Energie ist ρ c nicht mehr kritisch im ursprünglichen Sinn, d. h. die Expansion des Universums ist nicht „kritisch“ gebremst, sondern beschleunigt sich immer mehr. Woraus besteht die verbleibende Masse des Universums, also jene 27 % die nach Abzug der Dunklen Energie übrig bleiben? Die Nukleosynthese nach dem Urknall liefert nur einen Massenanteil von 4 % baryonischer (d. h. aus Nukleonen und Elektronen aufgebauter) Materie, und davon ist ein Zehntel „leuchtend“, d. h. der unmittelbar astronomischen Beobachtung zugänglich. Der Großteil der baryon- schen Materie und auch die verbleibenden 23 % aus der Massenbilanz sind dunkel und können nur über ihre gravitative Wirkung, z. B. auf die Rotationsgeschwindig- keit von Spiralgalaxien, nachgewiesen werden. Diese sogenannte Dunkle Materie muss ein vergleichsweise kalter Staub aus „exotischen“, nur schwach wechselwir- kenden Teilchen sein, der Galaxien in sogenannten Halos kugelförmig umgibt. Wo- raus die Dunkle Materie besteht und was die Dunkle Energie ist, woraus also 96 % der Masse unseres Universums „bestehen“, wissen wir nicht. Sie zu entschlüsseln ist einer der größten Herausforderungen der heutigen Elementarteilchenphysik ( 136.4 , 137.3 ). Die Frage, warum ρ ≈ ρ c hat noch keine endgültige Antwort gefunden. Das Inflati- onsmodell könnte möglicherweise eine Erklärung liefern. b) Die Frage nach der Antimaterie Bei den extrem hohen Temperaturen des Urknalls muss ein Gleichgewicht zwi- schen Materie und Antimaterie geherrscht haben. Zeugen der Vernichtung zwi- schen Materie und Antimaterie sind jene Photonen, die wir heute als Hintergrund- strahlung registrieren. Da gegenwärtig auf ein Nukleon zehn Milliarden Photonen kommen, muss es vor der Entstehung der Photonen einen winzigen Überschuss an Materie gegeben haben. Es ist eine offene Frage, wie es zu dieser Asymmetrie ge- kommen ist. 136.1 Hätten Neutrinos genügend Masse, könnten sie kugelförmige Wolken (sog. Halos) um Galaxien bilden. 136.2 Die Messdaten zeigen die feinen Tempe- raturvariationen in der kosmischen Hinter- grundstrahlung. Die Sonde des Satelliten COBE registrierte Anfang der 1990er Jahre winzige Unregelmäßigkeiten in der Hintergrundstrah- lung. Etwa zehn Jahre später wurde mit we- sentlich höherer Auflösung das zweite Bild von der Sonde WMAP aufgenommen. ( 137.4 ) 136.3 Im Jahr 2011 erhielten s aul p erlmutter (USA), b rian p. s chmidt (USA und Australien) und a dam g. r iess (USA) den Nobelpreis für Physik für die Entdeckung der beschleunigten Ausdehnung des Universums durch Beobach- tung entfernter Supernovae. Als Ursache der Ausdehnung sehen die Physiker derzeit die Dunkle Energie im All an, die etwa zwei Drittel der Masse des Universums ausmachen soll. Dunkle Energie 73% Dunkle Materie 23% Atome 4% 136.4 Nur 4% der Materie des Universums besteht aus den uns bekannten Atomen. Woraus der Großteil des Universums besteht wissen wir nicht. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum d s Verlags öbv
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