Sexl Physik 8, Schulbuch
33 | 2.4 Messung und Konsequenzen der Raumkrümmung Wie kann man nun die Geometrie in der Umgebung der Sonne tatsächlich ausmes- sen und welche weiteren Konsequenzen hat die Raumkrümmung? Historisches Experiment: Das Shapiro-Experiment 33.1 Im Jahre 1964 schlug der amerikanische Physiker i rwin I. s hapiro eine Überprüfung der geometrischen Verhältnisse in der Sonnenumgebung vor, die durch die Fortschritte in der Radartechnik ermöglicht wurde. Shapiros Experiment ist im Prinzip sehr einfach: Ein Radarsignal geht von der Erde aus, wird an der Venus reflektiert und kehrt wieder zur Erde zurück. Man misst also den Abstand Erde-Venus mit Hilfe der Radarmethode. Erde, Sonne und Venus müssen sich dabei annähernd auf einer geraden Linie befinden, damit der Radarstrahl nahe an der Sonne vorbei läuft. Der Radarstrahl legt dabei einen annähernd radialen Weg im Schwerefeld der Sonne zurück, wobei sein Gesamtweg gleich dem Durchmesser der Erdbahn plus dem Durchmesser der Venusbahn ist ( 33.1 ). Die- se Durchmesser müssen sich nach den Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie als etwas größer erweisen als nach denjenigen der euklidischen Geometrie. Wegen des größeren Weges verlängert sich auch die Laufzeit des Radarsignals, wenn das Signal auf seinem Weg von der Erde zur Venus und zurück knapp am Sonnenrand vorbeigeht. Shapiros Messungen bedeuten eine direkte Bestätigung der Raumkrümmung in der Umgebung der Sonne. Die Verlängerung des Weges, den der Radarstrahl durchlaufen muss, beträgt bis zu 36 km ( 33.2 ). Die Laufzeitverlängerung wird nur zur Hälfte durch die Raumkrümmung hervorgeru- fen. 50 % des Effektes sind auf die Verlangsamung des Uhrenganges in der Sonnenum- gebung zurückzuführen. Gravitationswellen Große Massen wie Sterne, Galaxien oder schwarze Löcher krümmen den Raum in ihrer Umgebung. Führen derartige Objekte eine beschleunigte Bewegung aus, wie dies etwa bei Doppelsternen der Fall ist, so gerät der Raum um sie herum in Schwingungen, es werden Gravitationswellen ausgesendet. Diese breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus. Ihre Existenz wurde bereits von Einstein selbst postu- liert, sie konnten aber bisher noch nicht direkt nachgewiesen werden. Gravitationswellen sollten Längenänderungen bewirken. Man versucht sie des- halb unter anderem mit Hilfe von riesigen Michelson-Interferometern ( 34.1 ; sie- he Kapitel 1.1) nachzuweisen. Eine Gravitationswelle sollte die Längen der beiden Interferometerarme unterschiedlich stark ändern, was zu einer Veränderung des Interferenzmusters führen würde. Die erwarteten Längenänderungen der Interfe- rometerarme betragen dabei nur etwa 10 –18 m ! Im Jahr 1974 entdeckten J oseph t aylor und r ussell h ulse das Doppelsternsystem B1913+16, in dem ein Pulsar und ein bislang unsichtbares Objekt einander um- kreisen. Gemäß der Allgemeinen Relativitätstheorie sollte das System dabei durch die Abstrahlung von Gravitationswellen Energie verlieren, was sich in einer Ver- änderung der Umlaufzeit bemerkbar machen sollte. Die gemessenen Daten stim- men in bemerkenswerter Weise (auf 0,2 % genau) mit der theoretischen Vorher- sage überein ( 33.3 ) . Dies ist – zusammen mit den Messungen an weiteren seither entdeckten Pulsarsystemen – der bisher überzeugendste experimentelle Nachweis der Existenz von Gravitationswellen. Taylor und Hulse erhielten 1993 für ihre Ent- deckung den Nobelpreis. Das erste echte Doppel-Pulsar-System J0737-3039, das aus zwei Pulsaren besteht, wurde 2003 entdeckt. Die Veränderungen ihrer Umlaufbahnen bestätigen die Vor- hersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie. Ebenfalls bestätigt wurden die Zeit- dehnung in der Nähe großer Massen (gerät der eine Pulsar auf seiner Bahn in die Nähe des anderen Pulsars, so scheint sich seine Rotationsdauer um 0,38 Milli- sekunden zu verlängern), sowie die Verkürzung von Maßstäben in der Nähe gro- ßer Massen (wenn der eine Pulsar hinter dem anderen vorbeizieht, erreichen seine Signale die Erde mit einer Verzögerung von 90 Mikrosekunden). Erde Sonne Venus Venus Radarstrahl Planetenbahn 33.1 Läuft der Radarstrahl auf seinen Weg zur Venus und zurück knapp an der Sonne vorbei, so hat er wegen der Raumkrümmung einen um ca. 40 km verlängertem Weg zurück- gelegt. 33.2 Die Messergebnisse von Shapiro. Die Kurve gibt an, um wieviel sich die Laufzeit des Radarstrahls in der Sonnenumgebung verlängert. Die Ergebnisse stimmen mit einer Genauigkeit von 1 % mit den Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie überein, wie die Abbildung zeigt. 33.3 Das Doppelsternsystem B1913+16 ver- liert durch die Abstrahlung von Gravitations- wellen Energie. Die gemessene Verringerung der Umlaufzeit stimmt hervorragend mit den von der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagten Werten überein. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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