Sexl Physik 8, Schulbuch
71 | 3.2 Mikrosystemtechnik Im vorigen Abschnitt wurde beschrieben, wie Techniker/innen Konstruktionen aus der Natur übernehmen, sie weiterentwickeln und den menschlichen Bedürfnissen anzupassen versuchen. Auf der Suche nach Entwicklungen für die Zukunft werden zweierlei Strategien verfolgt: Entweder versucht man bekannte Materialien zu optimieren, indem man sie beispielsweise immer leistungsfähiger macht oder man sucht Werkstoffe mit ganz neuen Eigenschaften. Optimale Voraussetzungen für eine zielgerichtete Ma- terialentwicklung sind dann gegeben, wenn der atomare bzw. molekulare Aufbau der Materialien mit möglichst geringem Aufwand kontrolliert werden kann. Mo- derne Materialforschung ist daher eng mit der Erforschung der molekularen Zu- sammenhänge verknüpft. Eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts ist die Mikrosystemtechnik . Es geht dabei um Größenordnungen, die viel feiner sind als ein menschliches Haar, nämlich um den Mikro- und Nanometerbereich. Ziel dieses Forschungsgebiets ist es bestehende Systeme zu verbessern oder neue zu erschaffen. In den vergange- nen Jahren hat sich gezeigt, dass sich hier ungeahnte Anwendungsmöglichkeiten eröffnen. Im Folgenden soll ein kleiner Einblick in den Forschungsbereich der Mik- rosystemtechnik gegeben werden. Einsatzbereiche der Mikrosystemtechnik a) In der Medizin werden Mikromotoren ( ¿ ca. 2 mm ) eingesetzt, die auf ihre Masse bezogen erheblich mehr leisten als große Motoren. Die Verlustwärme, die beim Betrieb produziert wird, kann durch die im Vergleich zum Volumen große Oberfläche besser abgeführt werden. Derartige Motoren werden bei Herzopera- tionen eingesetzt, wo sie die Pumpfunktion des Herzens während der Operation vollständig übernehmen können. Auch wären Miniaturfräsen denkbar, die an Innenwänden von Arterien Kalk- und Cholesterinablagerungen „abschaben“ (In- farktvermeidung). Endoskope sind optische Instrumente, die einen Blick ins Körperinnere ermögli- chen. Man kann mit ihnen innere Organe (z. B. den Magen) von außen untersuchen oder sogar operieren. Sie bestehen aus mehreren tausend Glasfasern, welche einen Durchmesser von wenigen 1/100 mm haben. Das im Endoskop sichtbare Bild setzt sich aus vielen Bildpunkten der einzelnen Glasfasern zusammen (s. Physik 7, S. 14). In Zukunft sollen in den Körper eingepflanzte Glucosesensoren den Blutzucker von Diabetes-Patientinnen und -Patienten messen und eine Insulinpumpe steuern. b) Die Verkehrssicherheit von Fahrzeugen konnte in den vergangenen Jahren auf- grund der Mikrosystemtechnik (Antiblockiersysteme, Airbags usw.) entscheidend verbessert werden. Bei vielen dieser Maßnahmen geht es darum, die Konsequen- zen menschlichen Fehlverhaltens abzumildern. In Zukunft sollen intelligente Assis- tenzsysteme für KFZ Kollisionen von Fahrzeugen überhaupt vermeiden. Jetzt schon nutzen Aufprallsensoren , die das Auslösen der Airbags steuern, das Trägheitsprin- zip, um einen Aufprall anhand der dabei auftretenden hohen Beschleunigungswer- te festzustellen. In einem Aufprallsensor ist ein Siliciumplättchen zwischen zwei festen Metallplättchen schwingungsfähig gelagert. Das Siliciumplättchen bildet mit den beiden Metallplättchen und den Luftspalten zwei Kondensatoren. Beim Ab- bremsen wird es aus seiner Ruhelage ausgelenkt. Somit ändern sich die Kapazitäten der Kondensatoren. Aus der Differenz der beiden Werte errechnet die Auswerte- elektronik die Beschleunigung. Überschreitet diese einen bestimmten Wert, so wird das Signal zum Zünden des Airbags gegeben ( 72.1 ). Auch in Notebooks misst ein Sensor die Beschleunigung. Sobald die Erschütterun- gen zu stark sind, schaltet der Rechner automatisch ab, um Datenverluste zu ver- meiden ( 72.2 ). 71.1 Gulliver im Reich der Liliputaner – Physik setzt Grenzen. Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts wagte sich der Schriftsteller Jonathan Swift in den Bereich der Mikrowelten vor. Gulliver trifft in Liliput auf Abbilder des Menschen, die exakt auf den Maßstab 1 : 12 verkleinert sind. Im Roman errechneten die Liliput-Mathematiker, dass Gulliver aufgrund der Ähnlichkeiten im Körperbau 1728 (= 12³) mal so viel Nahrung aufnehmen müsste wie ein einziger Lilipu- taner. Doch physikalisch betrachtet ist diese Rechnung nicht richtig. Man nahm an, dass die von Lebewesen an die Umgebung abgegebene Energiemenge proportional zu ihrem Körper- gewicht ist. Die abgestrahlte und daher benö- tigte Energiemenge ist jedoch proportional zur Körperoberfläche. Kleine Lebewesen müssen relativ viel mehr essen als große. Gulliver wäre also mit der vorgeschlagenen Nahrungsauf- nahme hoffnungslos überfüttert worden. 71.2 Das kleinste Auto der Welt: Es besteht aus einem einzigen Molekül und ist nur einen Nanometer lang, wird elektrisch angetrieben und fährt in eine bestimmte Richtung. Die Entwicklung von Maschinen in Molekülgröße ist derzeit noch Grundlagenforschung. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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