Zeitbilder 5/6, Schulbuch
Besonders mühsam gestaltete sich der Zugang von Mädchen und Frauen zu höherer Bildung: 1878 gestattete das Ministerium Mädchen erstmals die Ab- legung der Reifeprüfung. 1892 wurde zwar das erste (und bis 1938 einzige) humanistische Mädchengymnasium in Wien gegründet, die Matura mussten die Mädchen aber am Knabengymna- sium ablegen. Um 1900 existierten für Mädchen so genannte Lyceen, allerdings wurden dort weder Latein noch naturwissenschaftliche Fächer unterrichtet. Zur Ablegung der Matura waren Zusatzkurse erforderlich. 1897 erhielten auch Frauen die Zulassung zum Universitätsstudium, Medizin durf- ten Frauen in Österreich erst ab 1900, Jus ab 1919 studieren. Listet in Gruppenarbeit stichwortar- tig auf, welche Meinungen und Urtei- le über Frauen sich aus den Quellen erschließen lassen. Gibt es heute noch Vorurteile Mäd- chen und Frauen gegenüber? Der Kampf um politische Gleichberechtigung Während der Französischen Revoluti- on (vgl. S. 166 f.) hatten sich Frauen erfolgreich in den politischen Entschei- dungsprozess eingeschaltet. Durch ihr Engagement hatten sie wesentlich dazu beigetragen, die Vormachtstellung der Adeligen zu beenden und die Men- schenrechte zur Grundlage des neuen Staates zu machen. Da sie an den politischen Versammlungen der Revo- lutionäre zwar teilnehmen, aber nicht mitentscheiden durften, gründeten sie eigene Frauenclubs. Vom neuen Wahl- recht (1789) blieben die Frauen jedoch ausgeschlossen. In der Verfassung von 1791 wurden die Rechte der Frauen nicht erwähnt. Die Schriftstellerin Olym- pe de Gouges veröffentlichte deshalb 1791 die „Ergänzung der Rechte der Frau und Bürgerin“ (vgl. dazu „Politi- sche Bildung: Frauenrechte“, S. 172 f.). Sie forderte darin die grundsätzliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Es zeigte sich jedoch, dass die Revolutionäre ihre männlichen Vor- rechte nicht aufgeben wollten. 1793 wurden die Frauenclubs verboten, ein Jahr darauf die Zulassung der Frau- en bei öffentlichen Versammlungen untersagt. Politisch aktive Frauen wie Olympe de Gouges, sie wurde 1793 auf der Guillotine hingerichtet, wurden zum Tode verurteilt. Am Ende der Französischen Revolution war die rechtliche und politische Gleich- stellung der Frauen noch in weiter Fer- ne. Dennoch hatten Frauen sich einige Verbesserungen erkämpft wie beispiels- weise das Recht auf Ehescheidung und einen Pflichtteil am Familieneigentum. Während sich im 19. Jahrhundert die Bildungsmöglichkeiten und die beruf- lichen Chancen für Frauen allmählich etwas verbesserten, blieb ihre politi- sche Rechtlosigkeit bestehen. Politik wurde von den meisten Menschen als „Männersache“ betrachtet. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun- derts mehrten sich aber in Europa und Nordamerika die Stimmen, die Frauen auch eine politische Mitbestimmung ermöglichen wollten. Die Verweigerung dieser Forderung radikalisierte, vor allem in England, die Frauenbewegung. Von 1903 bis zum Ersten Weltkrieg gingen die britischen Frauenrechtle- rinnen, „Suffragetten“ (von lateinisch suffragium = Stimmrecht) genannt, unter der Führung von Emmeline Pan- khurst auf die Straße, um mit Hunger- streiks, Demonstrationen, aber auch gewaltsamen Aktionen für die politische Gleichberechtigung, speziell für die Durchsetzung des Frauenwahlrechtes, zu kämpfen. 1890 beriefen die beiden Wiener Leh- rerinnen Auguste Fickert und Marie Schwarz die erste politische Frauen- versammlung Österreichs ein. Sie forderten die Aufnahme von Frauen in politische Vereine und das Wahlrecht. Diese Forderung vertraten auch der 1893 gegründete „Allgemeine öster- reichische Frauenverein“ und eine in Wien abgehaltene Arbeiterinnenver- sammlung. Abgesehen von einzelnen Abgeordneten machten sich aber die männlichen Parteivertreter nicht für das Frauenwahlrecht stark. Am frühe- sten nahmen es die Sozialdemokraten in ihr Parteiprogramm auf. Vorrang hatte jedoch die Erkämpfung des allge- meinen Männerwahlrechtes. Als dies 1907 eingeführt wurde, blieben Frauen weiterhin von der politischen Mitbestim- mung ausgeschlossen. Der Erste Weltkrieg verstärkte die Emanzipationsbestrebungen: Frauen mussten Männer in der Öffentlichkeit und Wirtschaft ersetzen. Die Anerken- nung des Frauenwahlrechtes erfolgte daher nach dem Krieg in vielen europä- ischen Staaten. In Österreich wurde es 1918 mit der Ausrufung der Republik beschlossen. Nach den ersten Wah- len konnten im Februar 1919 zehn Frauen als Abgeordnete ins Parlament einziehen. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Recherchiere, wie viel Prozent der heutigen Parlamentsabgeordneten Frauen sind. 2. In welchen Berufen und Positio- nen sind Frauen heute noch unter- repräsentiert? Welche Erklärungen habt ihr dafür? Welche Maßnahmen könnte man ergreifen, um die Dreifachbelastung vieler Frauen – Kindererziehung, Haushalt, Berufstätigkeit – zu entschärfen? Die politische Gleichberechtigung der Frauen wurde in Österreich mit der neuen Wahlord- nung vom 27. November 1918 erreicht. Nach den ersten Wahlen 1919 zogen bei den Sozial- demokraten einige weibliche Abgeordnete ins Parlament. Das Foto von 1905 zeigt einen Demonstra- tionszug der „Suffragetten“, um ihre Zeitschrift „Votes for Woman“ bekannt zu machen, in der sie das Frauenwahlrecht fordern. 147 X Titel dieser Politikseite Frau n in d Geschich Nur zu Prüfzwecken – Eigent m des Verlags öbv
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