Zeitbilder 5/6, Schulbuch

Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin (…) Präambel Die Mütter, Töchter, Schwestern, Repräsentantinnen der Nation, verlangen als Nationalversammlung ein- gesetzt zu werden. In Anbetracht, dass Unwissen- heit, Versäumnis und Geringschätzung der Rechte der Frau die einzigen Gründe für die öffentlichen Missstände und die Verdorbenheit der Regierungen sind, haben sie beschlossen, in einer feierlichen Er- klärung die natürlichen, unveräußerlichen und heili- gen Rechte der Frau darzulegen. (…) Erster Artikel Die Frau wird frei geboren und bleibt dem Mann an Rechten gleich. (…) II Der Zweck jeder politischen Vereinigung ist die Er- haltung der natürlichen und unantastbaren Rechte der Frau und des Mannes: Dies sind die Rechte auf Freiheit, Eigentum, Sicherheit und besonders auf Wi- derstand gegen Unterdrückung. (…) VI Das Gesetz muss Ausdruck des Gemeinwillens sein; alle Bürgerinnen und Bürger müssen persönlich oder durch ihre Repräsentanten an der Gesetzgebung mit- wirken; es muss dasselbe für alle sein: Alle Bürgerin- nen und alle Bürger, die in seinen Augen gleich sind, müssen gleichermaßen entsprechend ihren Fähig- keiten und ohne anderen Unterschied als den ihrer Tugenden und Begabungen zu allen Würden, Stellen und öffentlichen Ämtern zugelassen sein. VII Für keine Frau gibt es eine Ausnahme; sie wird in dem vom Gesetz bestimmten Fall angeklagt, festge- nommen und inhaftiert. Die Frauen gehorchen wie die Männer diesem strengen Gesetz. (…) X Wegen seiner, selbst fundamentalen, Meinungen braucht niemand etwas zu befürchten, die Frau hat das Recht auf das Schafott zu steigen; sie muss glei- chermaßen das Recht haben, ein Podium zu bestei- gen; unter der Voraussetzung, dass ihre Bekundun- gen nicht die durch das Gesetz festgelegte öffentli- che Ordnung stören. (…) XVI Jede Gesellschaft, in der die Gewährleistung der Rechte nicht sichergestellt und die Gewaltentren- nung nicht festgelegt ist, hat keine Verfassung; die Verfassung ist nichtig, wenn die Mehrheit der Indi- viduen, die die Nation ausmachen, an seiner Erstel- lung nicht mitgewirkt hat. (…) (Olympe de Gouges, Les droits de la femme. Übersetzt v. Viktoria Frysak). 8. Frauenrechte Geschichte der Frauenbewegung Ende des 18. Jhs. wurden die Menschenrechte in Frankreich und den USA proklamiert (vgl. S. 168 u. S. 164 f.). Dies führte auch zur Forderung nach gleichen Rechten für Frauen. So formulierte die französische Schriftstellerin Olympe de Gouges 1789 eine „Erklärung der Rechte der Frau und Bürge- rin“. Sie legte sie der Nationalversammlung vor, diese lehnte sie aber ab. Olympe de Gouges wurde im Zuge der Schreckens- herrschaft 1793 hingerichtet, Frauen blieben weiterhin recht- lich nicht gleichgestellt. Die so genannte „erste Frauenbewegung“ (vor dem 1. Welt- krieg) in Europa und den USA konzentrierte sich vor allem auf die Erlangung des Stimmrechts für Frauen und den Zugang zur höheren Bildung (vgl. Längsschnitt S. 144 f.). Die „zweite Frauenbewegung“ (ab den 1960ern) entstand im Zuge der Studenten- u. Friedensbewegungen. Die unterschied- lichsten Frauengruppen setzten sich v.a. auseinander mit dem „Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren Körper“, der „Befreiung der weiblichen Sexualität“, mit der ökonomischen Situation von Frauen, insb. mit Hausarbeit als unbezahlte Ar- beit für Familie und Gesellschaft und der Unterbezahlung von Frauenarbeit. Obwohl viele Forderungen bis heute nicht umge- setzt wurden, gibt es doch auch einige Ergebnisse: u.a. kam es zu Reformen des Familien- u. Eherechts in vielen Ländern, der „Fristenlösung“ (Frist, innerhalb der ein Schwangerschaftsab- bruch straffrei ist), Quotenregelungen, um Frauen zu höheren Machtpositionen zu verhelfen und zu verbesserten Gesetzen zum Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen. Diese (Teil-) Erfolge der Frauenbewegung beziehen sich haupt- sächlich auf die westlichen Industrieländer. Frauen in Entwick- lungsländern und Diktaturen kämpfen nach wie vor um grund- sätzliche Bildungsmöglichkeiten, Teilhabe an der Öffentlichkeit und für Sicherheit. Die internationale Frauenbewegung heute versucht Frauen- rechte als universell gültige Menschrechte zu etablieren, dies führt zu vielen Vorbehalten und Schwierigkeiten. Wichtige Fortschritte in Sachen Frauenrechte bilden internationale An- tidiskriminierungsabkommen, die einklagbar sind, sowie auch das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Es ist das erste Gericht, das Vergewaltigung von Frauen im Krieg als Menschen- rechtsverletzung bzw. als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ahndet. Am 14. September 1789 publizierte Olympe de Gouges ihre „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“: Q Die Rechte der Frau Mann, bist du fähig, gerecht zu sein? Es ist eine Frau, die dir diese Frage stellt, zumindest die- ses Recht nimmst du ihr nicht. Sag mir, wer hat dir die unumschränkte Herrschaft verliehen, mein Ge- schlecht zu unterdrücken? (……) Absonderlich, ver- blendet, wissenschaftlich aufgeblasen und degene- riert will er [der Mann] in diesem Jahrhundert der Aufklärung und des Scharfsinns in gröbster Unwis- senheit als Despot über ein Geschlecht befehlen, das alle intellektuellen Fähigkeiten besitzt; (…) 172 Politische Bildung – Kompetenztraining Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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