Zeitbilder 5/6, Schulbuch

nächst noch örtlich begrenzt, wurden solche nach 1300 mitunter landesweit durchgeführt. Aus Eng- land wurden die Juden 1290 und aus Frankreich 1306 und 1322 vertrieben. Den bis zum 20. Jh. furchtbars- ten Höhepunkt bildete die Verfolgung im Zusam- menhang mit dem Auftreten der Pest (1348 – 1351). Nach Auffassung der neueren Forschung waren im Jahr 1096 religiöser Fanatismus und Misstrauen gegen die andere (= jüdische) Religion die Hauptgründe für die Verfolgung. In den späteren Verfolgungen kamen christliche Phantasien wie „Ritualmordlegenden“ oder „Hostienschändung“ dazu. Neben dieser Verunglimp- fung der Juden als vermeintliche „Christen- und Got- tesmörder“ sowie als „Brunnenvergifter“ war der Vor- wurf der „Wucherei“ immer ein Hauptgrund für die Verfolgung. Ausgrenzung durch die Kirche Von Seiten der Kirche gab es seit der Spätantike Vor- schriften zur Vermeidung sozialer Kontakte zwischen Christen und Juden. Auf dem 4. Laterankonzil (1215) verstärkte man diese Ausgrenzungspolitik. Juden (und Sarazenen) wurden z.B. verpflichtet, eine gesonder- te Kleidung zu tragen (z.B. den Judenhut). Ihnen war nicht erlaubt, an den christlichen Festen teilzunehmen; in der Karwoche durften sie ihre Häuser nicht verlas- sen. Diese kirchlichen Vorschriften gingen im Verlauf des 13. Jh. auch in weltliche Gesetzesvorschriften ein (z.B. Sachsenspiegel). Sie wurden aber zunächst kaum befolgt. Aus dem alltäglichen Leben wird nämlich von vielfältigen konfliktfreien Kontakten zwischen Christen und Juden berichtet. Erst im 15. Jh. setzte sich die be- sondere Kennzeichnung, z.B. mit einem „gelben Fleck“ („Schandfleck“) durch. Auch die bauliche Absonderung ihrer Wohngegenden durch eigene Gassen oder Stadtviertel (Judenviertel), die in den Städten unterschiedlich ausgeprägt war, wur- de in jener Zeit üblich (Ghettoisierung). Juden in Österreich Im 13. Jh. nahm die Zahl der jüdischen Gemeinden im Reich stark zu (um 1200: ca. 30; um 1300: ca. 350). Vie- le Neugründungen erfolgten auch in landesfürstlichen Städten. Deshalb haben die Landesfürsten „Judenord- nungen“ erlassen. Der österreichische Herzog Friedrich II. erließ als erster deutscher Fürst eine solche im Jahr 1244. Damit schützte er einerseits die Juden. Anderer- seits gewann er den Anspruch auf ihre Abgaben. Von den „Pestverfolgungen“ (1348 – 51) blieben die jüdi- schen Gemeinden in Österreich verschont. Eine Folge davon war, dass die jüdischen Gemeinden in Wien und Wiener Neustadt die letzten Zentren jüdischer Gelehr- samkeit im Reich blieben. Jüdische Gelehrte befassten sich seit alters her haupt- sächlich mit der Erforschung und Anwendung des „gött- lichen Rechts“ (Halacha), aber auch mit Vorschriften jüdischer Traditionen und jüdischen Brauchtums. Denn ihrer Auffassung nach verwirklicht sich das Wort Gottes nicht allein in den religiösen Schriften (Thora, Talmud) sondern auch im Leben des von Gott auserwählten Vol- kes. Die heiligen Schriften waren in hebräischer Spra- che abgefasst, die auch die Sprache der Liturgie war. 1420/21 wurden unter Herzog Albrecht V. Juden gezielt verfolgt, diese Ereignisse werden in der Geschichts- schreibung als „Wiener Gesera“ bezeichnet. Sie war nach der Pestzeit die größte und blutigste Verfolgung. In Wien und in ca. 20 weiteren Orten in Österreich wur- den mehrere hundert Juden ermordet, hingerichtet, ausgeplündert und vertrieben. Die Schuldbriefe wur- den verbrannt. Wie schon bei den bisherigen Verfolgungen im Reich wurden im Laufe des 15. Jh. die Juden der meisten Ge- meinden in Länder Osteuropas vertrieben – nach Polen, Ungarn oder Russland. Aber auch dort waren sie vor Anfeindungen nicht immer sicher. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Recherchiere wo und wann Juden in deiner Stadt / dei- ner Umgebung gelebt haben. Gibt es dort noch heute eine jüdische Gemeinde bzw. Erinnerungen an sie (z.B. einen jüdisches Friedhof, Denkmäler)? 2. Juden im mittelalterlichen Europa waren eine Minder- heit. Welche Besonderheiten werden Minderheiten oder Ausländern heute nachgesagt? Wie kannst du diese Be- hauptungen überprüfen? 3. Recherchiere in einem politischen Lexikon die Begriffe Antijudaismus und Antisemitismus. Welche Folgen hatte der Antisemitismus im 20. Jahrhundert?  Ein jüdischer Arzt und sein Patient (Holzschnitt, Augsburg 1487). Das vielleicht bekannteste Gebiet jüdischer Berufsausübung außerhalb des Geldgeschäftes stellt zweifellos die Medizin dar. Schon im Frühmit- telalter genossen jüdische Ärzte einen ausgezeichneten Ruf; ein aussa- gekräftiges Beispiel ist das dem Salzburger Erzbischof Arn (798–821) zugeschriebene Briefformular, in dem dieser einen Grafen bittet, ihm einen jüdischen Arzt aus dem slawischen Gebiet zu schicken, um den zuvor schon ein anderer Bischof gebeten hatte. 93 Das Mittelalter 3 Nur zu Prüfzwe ken – Eigentum des Verlags öbv

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