Zeitbilder 7, Schulbuch
146 Kompetenzmaterial M4 Der Historiker Reinhardt Wendt schreibt über die ver- schiedenen Wege zur Unabhängigkeit: Unabhängigkeit von einer Kolonialmacht konnte ge- währt oder erkämpft werden. Die USA auf den Phil- ippinen, die Briten in Ceylon, an der Goldküste und zuletzt in Hongkong oder die Franzosen in Westafrika übergaben die Macht nach einem festgelegten Fahr- plan in einheimische Hände. Diesen „geordneten“ Dekolonisationen standen turbulente gegenüber, bei denen die westlichen Herren sich notgedrungen zurückzogen oder zur Aufgabe gezwungen wurden. Guerilla-Aktivitäten in Malaya oder der Mau-Mau- Aufstand in Kenia beförderten die britische Bereit- schaft, Unabhängigkeit zu gewähren. Die Dekolonisa- tion Niederländisch-Indiens wurde durch eine Kom- bination von indigenem Widerstand und außenpoliti- schem Druck der USA erreicht. (…) Befreiungskriege trotzten den Kolonialmächten die Unabhängigkeit in Vietnam, Algerien und den portugiesischen Kolonien in Afrika ab. (…) Die vietnamesische Befreiungsbe- wegung konnte die Früchte (ihres) Sieges (1954) nicht ernten. Zwar wurden die Länder Indochinas 1954 un- abhängig, doch nach Ausbruch des Kalten Krieges waren die USA nicht gewillt, dem Ostblock mögliche Geländegewinne zuzugestehen. Vietnam wurde ge- teilt, und den Süden banden die USA in ein System informeller Kontrolle ein. Der Kampf gegen die Fran- zosen ging in den Vietnamkrieg über. (…) (Wendt, Vom Kolonialismus zur Globalisierung, 2007, S. 341–342) M5 Der Historiker Reinhardt Wendt schreibt über die Folgen der Dekolonisation: Die (…) Dekolonisation hat die politischen und ökono- mischen Rollenverhältnisse auf der Welt nicht grund- sätzlich verändert. Der Verlust formeller Kolonialherr- schaft schwächte die einstigen Mutterländer allenfalls kurzfristig. Interessen in der Überseeischen Welt lie- ßen und lassen sich auch mit Hilfe informeller Struk- turen aufrechterhalten. (…) Man kann von informellen Abhängigkeiten sprechen. Dass sich manche Länder aus dieser Lage nicht befreien können und weiterhin unter ökonomischer und kultureller Fremdbestim- mung leiden, dafür lassen sich neben hausgemachten eine Reihe externer Ursachen anführen. Letztere lie- gen in der Art und Weise, wie die Länder des Nordens ihre Interessen wahrnehmen und durchsetzen. Diese strukturellen Behinderungen, die eine selbstbestimm- te Entwicklung hemmen, wurden zeitweise als Neoko- lonialismus bezeichnet. Heute werden sie häufig unter dem Begriff „Globalisierung“ subsumiert. (…) (Wendt, Vom Kolonialismus zur Globalisierung, 2007, S. 326) M6 Der Historiker Dierk Walter kommentiert den Begriff „Stellvertreterkrieg“ auf folgende Weise: Das böse Wort „Stellvertreterkrieg“ zentriert vierein- halb Jahrzehnte Gewaltgeschichte der Welt auf die Konfrontation von USA und UdSSR – als seien die 15. Das Ende kolonialer Herrschaft in Asien und Afrika M1 Am 8. 8. 1942 verfasste ein Komitee des indischen Nati- onalkongresses unter Führung M. Gandhis die Resoluti- on „Quit India“ (Verlasst Indien): Die Beendigung der britischen Herrschaft in die- sem Land ist eine lebenswichtige und unmittelbar zu treffende Entscheidung, von der Zukunft des Krieges und der Erfolg von Freiheit und Demokra- tie abhängen (…) Das Komitee beschließt daher, zur Erlangung von Indiens unveräußerlichem Recht auf Freiheit und Unabhängigkeit, den Beginn eines Massenkampfes mit gewaltlosen Mitteln in weitest- möglichem Ausmaß zu genehmigen. (…) Ein solcher Kampf muss unvermeidlicherweise unter der Leitung Gandhis stehen. (…) (In: Rothermund, Blutiger Bruderzwist. In: Die Zeit. Welt- und Kulturge- schichte, Bd. 14, 2006, S. 328) M2 Jawaharlal Nehru, der künftige Premierminister Indiens, sandte am 15. 8. 1947 eine Botschaft an die Presse: Der vorbestimmte Tag ist gekommen (…) und Indi- en tritt nach langem Schlummer und langem Kampf wieder in den Vordergrund, ist erwacht, voller Leben, frei und unabhängig. (…) Wir sind Bürger eines gro- ßen Landes, wir stehen an der Schwelle zu kühnem Fortschritt, und wir müssen auf dieses hohe Ziel hin- arbeiten. Welcher Religion wir auch angehören mö- gen, wir alle sind Kinder Indiens und haben gleiche Rechte, Privilegien und Pflichten. (…) Wir grüßen die Nationen und Völker der Welt und versprechen ihnen, mit ihnen zusammen an der Wei- terentwicklung des Friedens, der Freiheit und der Demokratie zu arbeiten. (In: Wolfrum/Arendes, Globale Geschichte des 20. Jahrhunderts, 2007, S. 137) M3 Über die Außenpolitik von J. Nehru heißt es in einem Fachartikel: Außenpolitisch leitete Nehru eine Politik der „Block- freiheit“ ein, um die Unabhängigkeit seines Landes, vor allem angesichts des Ost-West-Konflikts, zu wah- ren; er verband diese Maxime mit dem Gedanken der Koexistenz von Staaten mit unterschiedlichen Gesellschaftssystemen. Zusammen mit Indonesien, Ägypten und Jugoslawien entwickelte sich Indien zu einem der tonangebenden Staaten der Dritten Welt, was 1955 vor allem auf der Bandungkonferenz sicht- bar wurde und in die Bewegung der blockfreien Staa- ten mündete. Da die indische Nationalbewegung ihren Einsatz für die Unabhängigkeit Indiens zugleich als Kampf für nationale Selbstbestimmung aller abhängigen Völ- ker betrachtete, setzte sich das unabhängige Indien für die Entkolonialisierung der in kolonialer Abhän- gigkeit von europäischen Mächten lebenden Natio- nen ein. (…) (Im Besitz der Kongresspartei: Indien. In: Die Zeit. Welt- und Kulturge- schichte, Bd. 15, 2006, S. 370) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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