Zeitbilder 7, Schulbuch
164 Kompetenzmaterial M1 Die Vereinten Nationen heben die Bedeutung der Fami- lie besonders hervor: Die Familie ist die natürliche Grundeinheit der Ge- sellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesell- schaft und Staat. (Vereinte Nationen, Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. 12. 1948; Art.: 16/3) M2 Wenn Frauen zu Müttern und Männer zu Vätern werden, häufen sich die Erwartungen und die Belastungen: Heute ist eine gute Mutter ganz selbstverständlich auch berufstätig. (…) Eine junge Mutter weiß heute, dass sie sich im Zweifelsfall selbst um ihre Absiche- rung kümmern muss – und viele Frauen wollen auch gar nicht vom Partner finanziell abhängig sein. War bis vor einigen Jahren die frühe Berufstätigkeit von Müttern mit dem Ruch der Rabenmutter verbunden, so wird eine Frau heute schon bald nach der Geburt daran denken, wie sie sich und ihre Kinder auch ma- teriell alleine oder mit dem Partner gemeinsam ver- sorgen kann. Ob sie selbst und das Kind dieser He- rausforderung emotional gewachsen sind, ob sie Be- ruf und frühe Mutterschaft wirklich gut vereinbaren kann, ist heute gesellschaftlich so wenig von Inter- esse wie vor einigen Jahren der Wunsch vieler Frau- en, wieder arbeiten zu dürfen. Was eine gute Mutter ist, bestimmt eher das gesellschaftliche Umfeld als die eigenen Wünsche und die Empfindungen der Frau. Auch die Vorstellung vom „guten Vater“ hat sich während der letzten Jahrzehnte stark verändert. Vorbilder gibt es immer noch zu wenige, Ansprüche dafür umso mehr. Stark soll er ein und freundlich, to- ben aber auch zärtlich sein, Körperkontakt doch bitte keine Übergriffe; Verlässlichkeit wird erwartet, aber wo soll er die Sicherheit hernehmen? Gleichbleibend hoch ist in allen Umfragen der Wunsch junger Män- ner, nach der Familiengründung viel Zeit mit ihrem Kind zu verbringen. Tatsächlich aber steigen die meisten Männer sofort nach der Geburt mit doppel- tem Eifer wieder in den Job ein – gilt es doch, als vo- rübergehender Alleinverdiener das Auskommen für die Familie zu sichern. (Klein/ Schön, Ein Kind verändert die Welt. In: Andresen/Brumlik/ Koch (Hg.), Das Eltern Buch, 2010, S. 27–35; S. 33) M3 Der fünfte Österreichische Familienbericht versteht Fa- milien nicht mehr vornehmlich als Leistungsempfänger sondern als Leistungserbringer: Generell zeichnet sich in der Familienforschung ein Perspektivenwechsel dahingehend ab, dass Familien nicht vorrangig als Leistungsempfänger, sondern zu- nehmend als Leistungserbringer begriffen werden. Dies wird etwa im Konzept von Familie als „Herstel- lungsleistung“ deutlich. Es zielt auf das Erfordernis ab, Familie sowohl im Alltag als auch in biografischer Hinsicht permanent aktiv zu gestalten und von an- deren Bereichen abzugrenzen (z. B. Bildung, Arbeit, Staat, Markt). Die Vereinbarkeit von Familie und Be- ruf spielt für das praktische Funktionieren von Fami- lie eine zentrale Rolle. Mit diesem Verständnis von Familienleistung rücken u. a. die nicht entlohnten Leistungen von Familie in den Blickpunkt. Im Zug des sozialen Wandels hat sich die Familie von einer selbstverständlichen, quasi naturgegebenen Res- source zu einer zunehmend voraussetzungsvollen Aktivität von Frauen, Männern, Kindern, Jugendli- chen und älteren Menschen entwickelt. Nicht Nor- mierungen von Familie, sondern Handlungen ste- hen somit im Fokus der familienwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Familie. Die Herstellung von Familie ist aufwändiger und komplexer gewor- den, was entsprechende Ressourcen und individuel- le Qualifikationen erforderlich macht. Die Anforde- rungen an Familie steigen: So soll z. B. Familie nicht nur gute Bildung vermitteln und an die Schule und andere Bildungsinstitutionen anknüpfen, sie soll auch ihren Beitrag zur Kriminalitätsprävention leis- ten. An der „strukturellen Rücksichtslosigkeit“ vieler gesellschaftlicher Teilbereiche hat sich aber nichts Substanzielles geändert. [D. h. Eltern werden „wie jedermann“ behandelt; es fehlt die Anerkennung der Gesellschaft dafür, inwieweit Menschen famili- ale Leistungen erbringen oder nicht, wodurch ihnen in der Regel Nachteile und für die Kinderlosen im Regelfall Konkurrenzvorteile entstehen, z. B. durch zu wenig Kinderbetreuungsmöglichkeiten; durch fa- milienfeindliche Arbeitszeiten; durch eine zu gerin- ge Abgeltung der Familienleistungen v.a. für junge Familien, etc.; Anm. d. A.] Vor diesem Hintergrund orten Familienforscher/innen eine potenzielle Über- lastung der Familien. (BM f. Wirtschaft, Familie u. Jugend (Hg.): 5. Österreichischer Famili- enbericht, 2010, S. 31) M4 Zur Auseinandersetzung um die soziale Konstruktion von „Geschlecht“: Die Kritik der Ontologie des Geschlechts, also von Geschlecht als natürliche Tatsache, geht auf Simone de Beauvoirs (1992, S. 334) wohl am meisten zitierten Satz zurück: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ Dahinter verbirgt sich keine einheit- liche Theorie, wohl aber die geteilte Annahme, dass vermeintlich Natürliches keineswegs natürlich sein müsse, sondern sehr wohl menschengemacht, sozial konstruiert sein kann [z. B. durch kulturelle Einflüs- se wie Erziehung; Anm. d. A.]. (…) Die Auseinander- setzung zur sozialen Konstruktion und Konstitution von Geschlecht dauerten nun schon über drei Jahr- zehnte an und dabei entstandene Verunsicherungen schlugen sich in der „sex/gender“-Debatte theore- 4. Zweite Frauenbewegung, Frauenemanzipation und der Wandel der Familie Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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