Zeitbilder 7, Schulbuch
9. Der austrofaschistische Ständestaat Stände statt Parteien Während des Bürgerkrieges war die Sozialdemokrati- sche Partei verboten, ihre prominenten Führer – soweit sie nicht geflohen waren – verhaftet worden. Die Op- position war gelähmt. Nun ging Dollfuß an die Neuord- nung des Staates in seinem Sinne. Das Ergebnis war ein antidemokratischer, autoritärer Staat mit einem Führer- prinzip, ähnlich dem faschistischen Italien und dem na- tionalsozialistischen Deutschland. Am 1. Mai 1934 wurde von der Regierung eine neue Ver- fassung verkündet („Maiverfassung“): An die Stelle der Parteien trat die Vaterländische Front, welche alle Ös- terreicher/innen erfassen sollte (vgl. S. 54 f.). Selbst die Christlichsoziale Partei musste ihre Auflösung beschlie- ßen. Ihre Führungskräfte übernahmen die Spitzenposi- tionen in der Vaterländischen Front. Vertreter der Be- rufsstände sollten den Willen des Volkes zum Ausdruck bringen. Der Bundespräsident sollte von nun an nicht mehr durch das Volk, sondern von den Bürgermeistern gewählt werden. Bürgermeister wurden aber nur noch Angehörige der Vaterländischen Front. Die römisch-ka- tholische Kirche erhielt einen sehr großen Einfluss auf Schulwesen, Familienrecht und Ehebestimmungen. Die Bezeichnung „Republik“ wurde ausnahmslos ersetzt durch die Worte „Bundesstaat“ oder „Österreich“. Der Juliputsch Im Frühsommer 1934 inszenierten die Nationalsozia- listen eine neue Welle von Sprengstoffanschlägen. Sie planten einen gewaltsamen Umsturz. Am 25. Juli drang eine Gruppe von Nationalsozialisten in Uniformen des Bundesheeres in das Kanzleramt ein. Sie schossen auf Dollfuß und verletzten ihn so schwer, dass er nach weni- gen Stunden starb. Der Umsturzversuch aber scheiterte. Kurt Schuschnigg erhielt vom Bundespräsidenten den Auftrag, die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Die Anführer wurden vor Gericht gestellt, einige Todesur- teile vollstreckt. Hitler griff nicht ein. Mussolini zeigte seine Unterstützung, indem er Truppen an der Brenner- grenze aufmaschieren ließ. Das „Juliabkommen“ Kurt Schuschnigg blieb bis zum „Anschluss“ Öster- reichs 1938 an das Deutsche Reich Bundeskanzler. Er bemühte sich um den Erhalt der Unabhängigkeit Ös- terreichs. Angebote der (illegalen) Sozialdemokraten, eine Einheitsfront gegen die aggressive Politik Hitlers zu schaffen, lehnte er ab. Mussolini gab jedoch seine Schutzposition gegenüber dem österreichischen Ständestaat auf: Sein Überfall auf Abessinien und die darauf folgende politische Isolierung bewirkte nämlich eine Annäherung Italiens an Deutsch- land (vgl. S 84 f.). Hitler forderte als Gegenleistung die Preisgabe Österreichs. Als Schuschnigg im März 1936 nach Rom reiste, um sich der weiteren Unterstützung Mussolinis zu versichern, riet ihm dieser zu einer Ver- ständigung mit Hitler. Die österreichische Regierung gab nach, und Verhandlungen führten zum „Juliab- kommen“ mit dem Deutschen Reich. In ihm anerkann- te Hitler die Unabhängigkeit Österreichs, das dafür die deutsche Außenpolitik unterstützen sollte. Das sah nach einem Sieg Schuschniggs aus. In einem geheimen Zu- satzabkommen musste er jedoch einer Amnestie für ver- haftete oder nach Deutschland geflüchtete Nationalsozi- alisten zustimmen. Darüber hinaus verpflichtete er sich, Vertrauensleute der NSDAP in die Regierung aufzuneh- men. Damit kam es zu einer noch stärkeren Unterwan- derung Österreichs durch die Nationalsozialisten. Schuschnigg in Berchtesgaden Hitler hatte die Wiederaufrüstung Deutschlands massiv vorangetrieben. Er war nun entschlossen, Österreich, wenn notwendig auch mit militärischer Gewalt, an Deutschland anzuschließen. Für den 12. Februar 1938 befahl er den österreichischen Bundeskanzler zu sich nach Berchtesgaden. Schuschnigg selbst schrieb ein Protokoll dieser Unterredung: Q Hitler: „(...) Ich sage Ihnen, ich werde die gan- ze so genannte österreichische Frage lösen, und zwar so oder so! (...)“ Hitler: „Ich brauche nur einen Befehl zu geben, und über Nacht ist der ganze lächerliche Spuk an der Grenze zerstoben. Sie werden doch nicht glauben, dass Sie mich nur eine halbe Stunde aufhalten kön- nen? Wer weiß – bin ich über Nacht einmal in Wien; wie der Frühlingssturm! Dann sollen Sie etwas erle- ben! (...)“ (Schuschnigg, Ein Requiem in Rot-Weiß-Rot, 1949, S. 37 ff.) Schuschnigg gab den Forderungen Hitlers nach. Er musste den Nationalsozialisten Arthur Seyß-Inquart zum „Sicherheitsminister mit voller und unbeschränk- ter Polizeikompetenz“ ernennen. Von nun an unter- W Ideale im Stände- staat. Das Kruckenkreuz der Vaterländischen Front war das Symbol der „Er- neuerung“ Österreichs im Sinne des Austrofa- schismus. Wien 1936, 99×62cm, Wienbibliothek im Rat- haus, Signatur P-93. Beschreibe und analysiere mit Hilfe des Plaka- tes die Ideale des austrofa- schistischen Ständestaates. 58 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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