Zeitbilder 8, Schulbuch
profitieren. Daher rührt auch die zunehmende Polari- sierung der Ansichten über Globalisierung: zwischen denen, die weitgehend von ihren negativen Folgen geschützt sind – den Unternehmern, die ihre Kosten in Billigländer „outsourcen“ können, den Hightech- fachkräften und den Hochschulabsolventen, die in jeder Marktwirtschaft mit hohen Löhnen Arbeit fin- den – und diejenigen, bei denen das nicht der Fall ist. (…) Drittens schließlich (…) sind die politischen und kul- turellen Auswirkungen unverhältnismäßig groß. So ist die Zuwanderung in den meisten Volkswirtschaf- ten des Westens ein zentrales politisches Problem. (…) Kurzfristig können diese unverhältnismäßig große Auswirkungen durchaus ernsthafte politische Kon- sequenzen auf nationaler wie internationaler Ebene haben. (Hobsbawm, Globalisierung, Demokratie und Terrorismus, 2009, S. 11 f.) Globalisierungskritik: „Tittytainment“ reicht nicht aus Um das Volk für sich zu gewinnen und bei Laune zu halten, gaben ihm die römischen Kaiser „Brot und Spie- le“ – „panem et circenses“. Die Strategie des „Tittytain- ment“ ist dem ähnlich: Die Mehrzahl der arbeitsfähigen Menschen, die zu den 80% Unterprivilegierten gehören werden, sollen durch eine Kombination von ausreichen- der Ernährung (titis = nährende Brüste – „Konsumis- mus“) und betäubender Unterhaltung (entertainment – „Event Kultur“) ruhig gestellt und bei Laune gehal- ten werden. Doch damit lassen sich die Probleme der Menschheit nicht lösen. Martin und Schumann, die Verfasser des Bestsellers „Die Globalisierungsfalle“, machen überlegenswerte Vorschläge: Soziale und ökologische Mindeststandards sollen für den Welthandel gelten. Weiters: Durchset- zung der Einhaltung von Konventionen, etwa der ILO gegen Sozialdumping; Boykott von Produkten aus Kin- derarbeit, rücksichtsloser Umweltbelastung und Hun- gerlöhnen; Begrenzung der ökologisch verheerenden Zunahme des Gütertransports u. a.m. Eine andere Forschergruppe setzt vorwiegend auf „glo- bale Verträge“. Damit sollen Demokratie, Toleranz und Solidarität mit den Schwächeren weltweit gefördert werden (Gruppe von Lissabon: Grenzen des Wettbe- werbs, 1997). Eine Gruppe von Universitätsprofesso- rinnen und Universitätsprofessoren analysierte im Jahr 1999 im Auftrag der EU-Kommission das Phänomen der globalen Gesellschaft. Diese meinten u. a.: L Wir beobachten heute, dass sich als Folge der Globalisierung und der mächtigen Potenziale der Informationsgesellschaft die Welt hinbewegt auf einen einzigen integrierten weltweiten Markt, der letztlich der wesentliche Treiber aller übrigen Globalisierungsprozesse ist. Aus der Sicht der Au- toren ist ein Weg in die Zukunft, der die heutigen ressourcenintensiven Lebensstile der westlichen Welt auf eine Weltbevölkerung von zukünftig 10 Mrd. und mehr Menschen ausdehnt, nicht zu- kunftsfähig. Das würde sowohl die ökologische Stabilität unterminieren, als auch soziales Kapital zerstören. Es ist die Sicht der Autoren, dass dem- gegenüber eine Orientierung an europäischen Er- fahrungen der letzten fünfzig Jahre, und insbeson- dere die Verfolgung der Leitidee einer weltweiten sozialen und ökologischen Marktwirtschaft, einen wichtigen Beitrag leisten könnte, um einen Weg hin zu einer globalen und nachhaltigen Informati- onsgesellschaft zu finden. (Auf dem Weg in eine globale nachhaltige Informationsgesell- schaft – eine europäische Perspektive. Jahrbuch Arbeit und Tech- nik, Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn 1999, Zusammenfassung) In der Zusammenfassung neuester Untersuchungen gelangt man zur Auffassung (Asit Datta: Armutszeug- nis, 2013), dass die Globalisierung zwar große Chancen bietet. Diese lassen sich aber nur nützen, wenn stärker auf einen globalen Ausgleich geachtet wird und wenn – beginnend in den Industriestaaten – eine Änderung des Konsumverhaltens eintritt. Das erachtet man bemer- kenswerter Weise als das Schwierigste. Die Zuwächse an Produktivität sollen dazu verwendet werden, den ökologischen Umbau der Wirtschaft zu finanzieren und zwar aus der Einsicht heraus, dass die Menschheit auf Dauer nicht auf Kosten der Natur überleben kann. ATTAC – Gegenbewegung „von unten“ Aufgrund einer Wirtschaftskrise in Südostasien im Jahr 1997 (Thailand, Hongkong, S-Korea), die durch Finanz spekulationen ausgelöst wurde, forderten immer mehr Expertinnen und Experten eine Kontrolle der interna- tionalen Finanzmärkte. Ignacio Ramonet, der Chef redakteur der französischen Monatszeitung „Le Mon- de diplomatique“, machte den Vorschlag, Währungs- spekulationen durch die Einführung einer geringen Umsatzsteuer (0,1 %) bei spekulativen internationalen Geldgeschäften einzudämmen („Tobin Tax“). Da ge genwärtig täglich ca. 4000 Mrd. Dollar weltweit ge handelt werden, ergäbe das beträchtliche Einnahmen. Diese könnten z. B. für den Kampf gegen soziale Un gleichheiten, für das Schul- oder Gesundheitswesen eingesetzt werden. Im Jahr 1998 wurde aufgrund dieses Vorschlages in Pa- ris die Charta von „ATTAC-International“ verabschie- det. Ziel der ATTAC-Bewegung ist es, die Bürgerinnen und Bürger zum aktiven Widerstand zu ermutigen. Man ist also bestrebt, unter ihrer Beteiligung auf globaler Ebene einen demokratischen Raum zu schaffen und die weltwirtschaftliche Entwicklung an den Bedürfnissen der Menschen und am Schutz der Umwelt auszurichten. L ATTAC-Österreich fordert in seiner Gründungs- deklaration (September 2000) gerechte Rahmen- bedingungen für die Weltwirtschaft und den Vorrang demokratischer Politik vor neoliberaler Marktideolo- gie. Die drei zentralen Institutionen – Internationaler Währungsfonds, Weltbank und Welthandelsorgani- sation – haben in dieser Frage nicht nur versagt, son- 126 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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