Zeitbilder 8, Schulbuch

5.7 Projekt „Strategieentwicklung 2020“ – Zur neuen Armut im reichen Österreich In reichen Gesellschaften entsteht Armut wesentlich dadurch, dass (Lohn-) Einkommen und Vermögen ungleich verteilt sind. Schätzungsweise gibt es in Österreich um die 30 000 Euro- millionäre. Nach einer Untersuchung auf Betreiben der Euro- päischen Zentralbank im Jahr 2010 besitzen in Österreich die reichsten 5 Prozent der Haushalte fast die Hälfte (45 Prozent) des gesamten Bruttovermögens. Dieses beinhaltet neben dem Geldvermögen auch den Besitz von Immobilien sowie von Produktionseinrichtungen (z. B. Unternehmen, Fabriken). Es liegt im Jahr 2010 bei 1062,5 Mrd. Euro. Die untere Hälfte der Haushalte (sie besitzen bis rund 93 000 Euro) kann hingegen lediglich 4 Prozent des Bruttovermögens ihr Eigen nennen. Doch die Zahlenlage über Vermögen ist in Österreich bisher nicht sehr transparent. Die Wissenschafter/innen vermuten, dass die Vermögen der Reichsten im Lande noch deutlich un- terschätzt werden. Der Begriff „Armut“ wird in den letzten 20 Jahren zunehmend umfassend verstanden. Zunächst ist hauptsächlich von Armuts- gefährdung die Rede: Haushalte erzielen weniger als 60 Pro- zent des durchschnittlichen (Median) Einkommens. Diese Sichtweise wurde allmählich um Ausgrenzungsgefährdung er- gänzt. Dabei wird der Blick erweitert auf Beeinträchtigungen in der alltäglichen Lebensführung: z. B. die Wohnung nicht ausrei- chend warm halten zu können. Zusätzlich beachtet man noch das Risiko einer niedrigen Erwerbstätigkeit; darunter werden Arbeitslosigkeit, Teilzeitbeschäftigung aber auch Beschäftigung mit unzureichender Entlohnung verstanden (vgl. dazu S. 132). Die Gruppe der armuts- und ausgrenzungsgefährdeten Perso- nen ist in Österreich während der Jahre 2008 bis 2010 trotz Wirtschafts- und Finanzkrise leicht rückläufig: Im Jahr 2008 waren in Österreich 18,6 Prozent, d. s. 1,532 Mio. Menschen, armuts- und ausgrenzungsgefährdet; im Jahr 2010 waren es 16,6 Prozent, d. s. 1,373 Mio. Menschen. Bezieht man sich allein auf die Armutsgefährdung, so waren es 12,4 Prozent im Jahr 2008 (1,018 Mio. Menschen); im Jahr 2010 waren es 12,1 Prozent (1,004 Mio. Menschen). (Nach: Sozialbericht 2011–2012, S. 249 ff. und AK Aktuell 10/2012). Ein immer differenzierteres Verständnis von Armut führt aber auch zu einer vielfältigeren Betrachtungsweise der Menschen, die in Armut leben: L Die Menschen leben in Substandardwohnungen und in schlechten Wohngegenden; sie sind mit der Zahlung der Miete oder von Krediten im Rück- stand; sie haben Probleme beim Beheizen der Woh- nung; sie können abgenutzte Kleidung nicht ausrei- chend durch neue ersetzen; ihre Freizeitmöglichkei- ten sind eingeschränkt; sie können am gesellschaft- lichen und kulturellen Leben (z. B. Einladungen, Besuch von Kino, Theater, Kauf von Büchern) kaum teilnehmen und können sich übliche Konsumgüter – z. B. Geschirrspüler – oft nicht leisten; Eltern und ihre Kinder fühlen sich oft hilflos und wertlos u. v. m. (Nach: BM f. Arbeit und Soziales: Von Ausgrenzung bedroht 1993, S. 15; BM f. Soziale Sicherheit und Generationen: Bericht über die So- ziale Lage, 2004, S. 227 f.) Die Wissenschafter/innen betonen übereinstimmend mehrere Faktoren, welche gegenwärtig für das Abrutschen in die Armut besonders ausschlaggebend sind: L • Erwerbslosigkeit: Die zunehmende länger- fristige Erwerbslosigkeit zählt zu den Hauptur- sachen. Dabei sind jetzt soziale Gruppen betroffen, die früher vergleichsweise wenig armutsgefährdet waren, wie Facharbeiter oder Personen mit durchaus qualifizierter Ausbildung. • Haushalte mit Kindern: Sie machen mit 45 Prozent den weitaus größten Teil aller von Armut und Aus- grenzung gefährdeten Personen aus. Die Haushalte mit zwei Kindern sind dabei mit 15 Prozent und jene mit drei und mehr Kindern mit 13 Prozent besonders stark betroffen. Offenbar „machen Kinder arm“. • Unzureichende Bildung: 21% der Personen „mit höchstens Pflichtschulabschluss“ sind armutsgefähr- det. • Nur ein Verdiener: In den Haushalten mit nur ei- nem Verdiener ist die Armut(sgefährdung) um ein Vielfaches höher als in Haushalten, in denen ein zweiter Verdiener (z. B. die Frau) vorhanden ist. • In Haushalten mit Pensionistinnen und Pensio- nisten leben 25% aller von Armut und Ausgrenzung gefährdeten Personen in Österreich. Besonders stark sind dabei Mehrpersonenhaushalte (14%) und allein lebende Pensionistinnen (9%) betroffen. (Zusammengestellt nach: BMASK (2011): Armutsgefährdung und Lebensbedingungen in Österreich, S. 50 f. und Sozialbericht 2011– 2012, S. 289 f.) Fragen und Arbeitsaufträge Arbeitet die Expertenaussagen aus den Sozialberichten auf- merksam durch. Fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen und beantwortet folgende Fragen: • Auf wie viel Euro wird laut den Angaben des Sozialminis- teriums das Bruttovermögen der obersten 5 Prozent der reichsten Österreicherinnen und Österreicher geschätzt? • Wie viel beträgt der Anteil der obersten 5 Prozent, wie viel jener der restlichen 95 Prozent am gesamten Brutto- vermögen? • Recherchiert: Wie hoch ist das durchschnittliche Pro- Kopf-Einkommen (Medianwert) der Bevölkerung in Österreich? Nehmt Stellung zu folgenden Fragen: • Was berechtigt dazu, (Lohn-)Einkommen ungleich hoch zu gestalten? Denkt dabei an berufliche Qualifikationen, Schwerarbeit etc. • Wo seht ihr Bedenken gegenüber einer ungleichen (Lohn-)Einkommensgestaltung? 134 Politische Bildung – Kompetenztraining Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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