Zeitbilder 8, Schulbuch
Alle wesentlichen Gefahren sind Weltgefahren ge- worden, die Situation jeder Nation, jeder Ethnie, je- der Religion, jeder Klasse, jedes Einzelnen ist auch Resultat und Urheber der Situation der Menschheit. Ausschlaggebend ist: Von jetzt an ist die Sorge um das Ganze zur Aufgabe geworden. Das ist keine Op- tion, sondern die Kondition. (…) Damit wurde eine Verwandlung von Gesellschaft, Politik und Geschich- te eingeleitet, die bislang unbegriffen geblieben ist und die ich auf den Begriff „Weltrisikogesellschaft“ gebracht habe. (Beck, Weltrisikogesellschaft, 2007, S. 47f.) M6 Zur Thematik der weltweiten Armut schreibt der Nie- derländer Ton van Zuthpen, der über mehr als 30 Jahre Erfahrung in Katastrophenhilfe und Entwicklungs zusammenarbeit verfügt: Wenn es um eine große Hungersnot geht, die das Leben von Millionen von Menschen bedroht, haben viele Zeitgenossen noch immer falsche Vorstellungen im Kopf: Sie nehmen an, so eine Katastrophe ließe sich einfach erklären und auf eine einzige Ursache zurückführen. Und sie wundern sich, dass die Welt auch 2012 kein Patentrezept zu ihrer Bewältigung hat. (…) Es sind vor allem drei Faktoren, die die Ar- beit erschweren und bei denen Handlungsbedarf besteht: Erstens: Die Regierungen der Geberländer brauchen zu lange, um Gelder für die Vorbereitung auf sogenannte „schleichende“ humanitäre Katast- rophen bereitzustellen. (…) Die Regierungen der be- troffenen Länder des Südens wollen zweitens oft aus politischen Gründen nicht zugeben, dass die Ernte schlecht ist oder dass es andere Probleme gibt, die die Regierung allein nicht in den Griff bekommt – etwa das Fehlen von Geld oder logistischem Know how, um Getreide von Nachbarländern zu importieren. Manchmal spießt es sich sogar beider Wortwahl: Von einer „Dürre“ zu sprechen ist okay, von einer Hun- gersnot im eigenen Land will die Regierung nichts hören. (…) Drittens geht es um die Rolle von inter- nationalen NGOs bei der Verhinderung von Hunger- katastrophen. Die Hilfsorganisationen müssen ihre Bemühungen besser aufeinander abstimmen – damit aus vielen kleinen Hilfsprojekten ein großes Katastro- phenhilfeprogramm werden kann. (van Zuthpen, Nichts gelernt aus Hungerkrisen? In: Die Presse, 31.1.2012, S. 26) M7 Der österreichische Journalist Hans Rauscher meint zur Debatte um Islam und Europa u. a. Folgendes: (…) Auf der historischen-kulturellen Ebene ist Euro- pa von drei ganz großen geistigen Strömungen ge- prägt: Der griechisch-römischen Antike mit Individu- alismus, Rechtsstaat und Strukturierung des Staates, dem Christentum, das wiederum auf dem Judentum fußt – und der Aufklärung, auf die der moderne Sä- kularismus folgte. Der Islam kommt in diesem Ge- danken- und Wertegebäude zwar vor, aber nicht in bestimmender Form. Der Vorsitzende des Zentralra- tes der deutschen Muslime irrt, wenn er sagt, „das europäische Abendland steht ganz klar auch auf muslimisch-morgenländischen Beinen“. Selbstver- ständlich gab es eine Beeinflussung durch die ara- bisch-muslimische Wissenschaft, die der europäisch christlichen überlegen war. Vor 1000 Jahren. Selbst- verständlich war die gemeinsame Geschichte nicht nur die einer Abfolge von fürchterlichen Kriegen, die überwiegend auf den muslimisch-arabisch-tür- kischen Expansionsdrang zurückgehen; aber in der Mehrzahl doch. Selbstverständlich gibt es in Teilen des Balkans (Griechenland, Bosnien) eine Prägung durch den Islam als Religion der Osmanischen Besat- zungsmacht. Aber historisch – historisch! – war das eher ein Rezept für Rückständigkeit. (…) Die Zeiten der absoluten Dominanz der Religion, einer Religion sind vorbei. Europa hat christliche Wurzeln, aber sei- ne gesellschaftliche Verfassung ist säkular-pluralis- tisch. Das ist offenbar ein Problem für jene Muslime, die den Islam als allumfassende Anweisung für das ganze Leben betrachten. Aber es ist so. Die Muslime, die hier leben, gehören zu Deutschland, Österreich, Europa. „Der Islam“ mit totalitärem Anspruch [Isla- mismus; Anm. d. A.] gehört nicht dazu. (Rauscher, Der Islam, der nicht zu Europa gehört. In: Der Standard, 1.6.2012) M8 Der bekannte algerische Schriftsteller Boualem Sansal meint zur politischen Bedeutung des Islam: Die Unabhängigkeit hat in den meisten arabischen Ländern nicht zu Freiheit und einem besseren Leben geführt. Egal ob die Regierenden auf den Kapitalis- mus oder den Sozialismus setzten, es scheiterte im- mer daran, dass es Diktaturen waren. Deshalb glau- ben viele Menschen jetzt, dass der Islamismus die Lösung ist. Das ist gefährlich. Denn hinter dem Isla- mismus stehen eine starke Ideologie und starke Un- terstützer. Lange hat man gedacht, der Islamismus sei eine unbedeutende Irrlehre, die vom Weg der Re- ligion abgekommen ist. Das ist nicht so. Es handelt sich um eine echte faschistische Ideologie. (Sansal, „Islamismus ist eine echte faschistische Ideologie“. In: Der Standard, 10.7.2012, S.5) Fragen und Arbeitsaufträge 1. Fasse die Argumente der Befürworter und der Kritiker der Globalisierung anhand M1 bis M4 zusammen. Beur- teile sie hinsichtlich der wirtschafts-, der sozial- und der gesellschaftspolitischen Bedeutung. Diskutiert daran an- schließend mögliche Auswirkungen für die Demokratie. 2. Analysiere anhand M5, was U. Beck unter dem Begriff der „Weltrisikogesellschaft“ zusammenfasst. Diskutiert, was diese Entwicklung für die historisch vertrauten Er- scheinungsformen, wie Nationalstaaten aber auch natio- nale Politiken, bedeuten kann. 3. Arbeite anhand von M6 die wesentlichen Faktoren einer effizienten Bekämpfung von humanitären Katastrophen heraus. 4. Analysiere die beiden Textstellen M7 und M8 daraufhin, wie Islam und Islamismus in Europa und in der arabischen Welt charakterisiert werden. Diskutiert die Auffassung, die der österreichische Kolumnist H. Rauscher und der algeri- sche Schriftsteller B. Sansal vertreten. 137 3 Herausforderungen der Gegenwart Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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