Zeitbilder 8, Schulbuch
Japan: Demokratie nach eigenem Stil Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war Japan ein autokratisch regierter Staat. Der Kaiser (Tenno) war Ausgangspunkt und Zentrum der religiösen und politi- schen Macht. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste Ja- pan unter dem Druck der USA sein Regierungssystem umstellen. Es wurde ein ähnliches Regierungssystem wie in Großbritannien mit einem Oberhaus und einem Unterhaus eingeführt. Das Oberhaus ist jedoch weder ein Adelshaus – wie in England – noch eine Länderkam- mer, vergleichbar dem Bundesrat in Österreich, sondern eine beratende Kammer mit wenigen Rechten. Der Kai- ser hat nur noch symbolische Macht. Eine starke Premierministerin oder ein starker Premier- minister wird von der Mehrheit im Parlament gewählt. Sie oder er ernennt die Regierung und kann das Par- lament auflösen, um die politische Handlungsfähig- keit durch Neuwahlen wiederherzustellen. Die japani- schen Parteien sind – im Unterschied zu europäischen Parteien – in der Regel keine Programm- oder Volks- parteien. Es sind vielmehr Zusammenschlüsse einzelner Interessengruppen mit wenig klaren Grundsätzen. Das Wahlrecht in Japan stellt gegenwärtig eine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht dar: 300 Abge- ordnete des Unterhauses werden durch Mehrheitswahl gewählt, die übrigen 200 durch Verhältniswahlen über Parteilisten bestimmt. Die Bürokratie ist der Kontrol- le durch die Politik weitgehend entzogen. Sie und die freie Wirtschaft bestimmen die Politik in hohem Maße mit. Man spricht daher von einer „Demokratie in japa- nischem Stil“. 2.2 Russland, China und Indien Russland – „superpräsidentiell“ Bis zum Ende der 1980er-Jahre war Russland Teil der kommunistischen UdSSR. In diesem Staat bestimmte bis zu den Reformen unter Michael Gorbatschow die kommunistische Partei unangefochten die Geschicke des Landes. Der Aufbau eines neuen politischen Sys- tems wurde allerdings erst nach dem Untergang der UdSSR im Jahr 1991 möglich. Die wesentlichen Grundlagen für den Übergang zu einem demokratischen System waren 1991 aber noch schwach ausgeprägt. Die politischen Führungsgruppen in Russland waren zunächst am Erhalt und an der Er- weiterung ihrer eigenen Macht interessiert. Erst im Jahr 1993 trat nach einer Volksbefragung eine neue Verfas- sung in Kraft. Im neuen politischen System Russlands kommt nun dem Staatsoberhaupt eine überragende Machtposition zu. Es wird jeweils für sechs Jahre vom Volk gewählt, be- stimmt die Hauptrichtung der Innen- und Außenpolitik und kann Gesetzesentwürfe im Parlament einbringen. Überdies besitzt das Staatsoberhaupt ein Vetorecht ge- genüber den Gesetzen des Parlaments (= Staatsduma), das nur mit einer Zweidrittelmehrheit vom Parlament überstimmt werden kann. Ferner kann das Staatsober- haupt Dekrete und Verfügungen erlassen, die den Cha- rakter von Gesetzen besitzen. Es ernennt die Regierung, kann die Regierung entlassen und auch die Staatsduma auflösen und Neuwahlen ausschreiben. Auf diese Weise wird die Position der Päsidentin oder des Präsidenten durch die Staatsduma nahezu unan- greifbar und der demokratischen Kontrolle praktisch entzogen. Die Machtposition des russischen Präsiden- tenamtes ist daher im Vergleich zum Französischen und US-amerikanischen am stärksten ausgeprägt. Dieser Machtfülle des Präsidentenamtes steht ein ver- hältnismäßig schwaches Parlament (Bundesversamm- lung) gegenüber. Es besteht aus zwei Kammern: –– In der Staatsduma werden die Gesetze beschlossen (sie ist vergleichbar mit unserem Nationalrat). –– Im Föderationsrat (er ist vergleichbar mit unserem Bundesrat) sind die „Teileinheiten“ Russlands u. a. durch die Gouverneure vertreten. Unabhängige Medien und Gerichte sind nach wie vor nicht gesichert. Die sozialen Spannungen sowie der schwierige Systemwechsel zu Demokratie und Markt- wirtschaft ermöglichen es bis heute, dass diese Macht- fülle des Präsidentenamtes autoritär genutzt werden kann. China – „parteibestimmt“ Im bevölkerungsreichsten Staat der Erde, der Volks- republik China, ist das politische System nach wie vor durch die Monopolstellung der kommunistischen Partei bestimmt. Erfolge in der Wirtschaft als Ergebnis einer Modernisierungspolitik haben zwar seit dem Ende der 1970er-Jahre zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen im Sinne von mehr Offenheit geführt. Im politischen System ist allerdings nahezu keine Um- gestaltung erfolgt. Die kommunistische Partei steht noch immer über der Verfassung und dem Volk. Ihr Organisationsprinzip der Machtausübung ist der „demokratische Zentralismus“. Danach sind alle Partei- organe den Entscheidungen des Zentralkomitees unter- stellt. Es entscheidet über die Spitzenpositionen in Par- tei und Staat sowie über die politischen und wirtschaft- lichen Grundsätze. Seine 344 Mitglieder werden vom 20-köpfigen Politbüro bestellt. Dieses fällt auch alle be- W Wladimir Putin, russischer Präsident von 2000 bis 2008; von 2008 bis 2012 Ministerpräsident, ab 2012 erneut Präsident (Fotografie, Mos- kau, April 2013). 88 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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