Zeitbilder 8, Schulbuch
deutsamen politischen Ent- scheidungen. Entsprechend der Verfas- sung bildet das Parlament („Nationaler Volkskongress“) der Form nach die wichtigste Einrichtung im Staat. Seine rund 3 000 Abgeordneten werden alle fünf Jahre indi- rekt von den Volksvertretun- gen der Provinzen, aber auch von Vertretern der Volksbe- freiungsarmee gewählt. Auf- grund der Größe und der damit verbundenen Schwer- fälligkeit des Nationalen Volkskongresses werden die Gesetze in einem kleineren Gremium, dem ständigen Ausschuss, beschlossen. An der Spitze des Staates stehen die Staatspräsiden- tin/der Staatspräsident, die Ministerpräsidentin / der Ministerpräsident und die Ministerinnen/Minister der Zentralregierung. Die Staatspräsidentin /der Staatsprä- sident ist gleichzeitig auch Generalsekretärin /Gene- ralsekretär der Kommunistischen Partei. Damit ist diese Person sowohl Leiter / in des höchsten Staatsamtes als auch des höchsten Parteiamtes. Indien – „bevölkerungsreichste Demokratie“ Das politische System Indiens orientiert sich zum einen an der parlamentarischen Demokratie Großbritanniens. Zum anderen haben auch die 28 Bundesstaaten Indiens ein entsprechendes politisches Gewicht. Aus diesem Grund besteht ein Zweikammernsystem: ein Haus des Volkes/House of the People (Volkskammer, 545 Mitglie- der) und ein Rat der Staaten/Council of States (Staaten- kammer, 250 Mitglieder). Doch der wichtigste politische Akteur ist die indische Bundesregierung. In ihr besitzt die Premierministerin / der Premierminister vergleichbare politische Macht wie in Großbritannien. Sie / er wird vom Staatsoberhaupt aufgrund der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse bestellt und bestimmt die Ministerinnen und Minister; auch kann sie / er das Parlament vorzeitig auflösen. Das Staatsoberhaupt selbst wird von den beiden Kam- mern und den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt und besitzt relativ geringe politische Macht. Allerdings hat es die Möglichkeit, auf Anraten der Premierministe- rin/ des Premierministers in die Regierungen der Bun- desstaaten einzugreifen, wenn dort politisch instabile Verhältnisse eintreten. Auf diese Weise wird das Über- gewicht der Zentralmacht beim „indischen Föderalis- mus“ noch deutlicher. Die Abgeordneten der Volkskammer werden – gleich wie in Großbritannien – in Einer-Wahlkreisen alle fünf Jahre gewählt. Die Volkskammer tagt zwei- bis dreimal im Jahr. Hindi und Englisch werden als Verhandlungs- sprachen verwendet. Daneben sind dreizehn weitere Sprachen von Fall zu Fall als Verhandlungssprachen zugelassen. In der Staatenkammer sind die Länder auf Bundesebe- ne vertreten. Die Sitze dort werden nach der Bevölke- rungszahl des jeweiligen Bundeslandes vergeben. Die Abgeordneten werden von den Parlamenten der Bun- desstaaten, also indirekt, für sechs Jahre gewählt. Zwölf Abgeordnetensitze sind besonders verdienstvollen Per- sönlichkeiten vorbehalten, welche das Staatsoberhaupt ernennt. Gesetzesentwürfe sind von der Volkskammer und der Staatenkammer anzunehmen. Doch hat die Volkskammer wesentlich mehr Bedeutung. In der Volkskammer dominierte bis 1996 die von der Nehru-Gandhi-Dynastie dominierte Kongresspartei. Von 1996 bis 2004 erlangte die Hindu-nationalistische Partei („Bharatiya Janata Party“) zunehmende politi- sche Bedeutung. Entgegen dem Verfassungsgrundsatz der Trennung von Religion und Politik verfolgte sie die Vorstellung einer „natürlichen“ Vorherrschaft der Hin- du-Mehrheit. Eine solche geht zulasten der zahlreichen ethnischen und religiösen Minderheiten. Seit den Par- lamentswahlen im Jahr 2009 dominieren die Vereinigte „Progressive Allianz“ und wiederum die Kongresspar- tei das politische Geschehen. Deutlich mehr als zehn Parteien sind im indischen Parlament vertreten. Fragen und Arbeitsaufträge 1. Arbeite die Kennzeichen präsidialer Regierungsformen heraus. Vergleiche insbesondere die Stellung des Präsi- denten in den USA, in Frankreich und in Russland. 2. Vergleiche die Regierungsformen der beiden bevölke- rungsreichsten Staaten der Erde: China und Indien. Den- ke besonders an den „parteibestimmten demokratischen Zentralismus“ in China und an das „Mehrparteiensystem in Indien“. W Die ehem. Staatspräsidentin Pratibha Patil (bis 2012), der indische Premierminister Manmohan Singh (seit 2004) von der Kongresspartei und die Präsidentin der Kongresspartei, Sonia Gandhi (Fotografie, Mai 2009). 89 3 Weltpolitik der Gegenwart Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des V rlags öbv
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