Literaturräume, Schulbuch
Was vom Wilde nicht abgefressen wird, wird zertreten, sogar die Cartoffeln, welche wir zu unsern Lebensunterhalt bauen, werden von dem Wilde ausgewühlt, gefressen, und wir haben nach so vieler aufgewendeten sauern Mühe und Arbeit statt der Erndte, leere Felder. […] Wir haben zwar unsere Früchte durch nächtliches Wachen gegen die Verwüstungen des Wilds zu erhalten versucht, allein wenn unsere Kräffte den Tag über durch Frohnen, und was uns nach deren Ableistung etwa an Zeit noch übrig bleibet, durch Bearbeitung unserer eigenen Grundstücke und Besor- gung unserer Wirtschafften, gantz erschöpft worden, so müssen wir dem Schlaf, der einzigen Erholung für den unter harter Arbeit fast erliegenden Landmann, unterliegen, und dann ist alles verlohren. Da wir uns solchergestalt in der traurigsten Lage befinden, nicht wissen, woher wir zu unsern und der Unsrigen nothdürfftigen Unterhalt in unserer ohnehin nicht sehr ergiebigen Gegend das Brod hernehmen […] sollen, so bleibt uns nichts übrig, als Euer Herzoglichen Durchlaucht unser banges Anliegen wiederholt demütigst vorzutragen, und in dem festen Vertrauen auf Hoechst Dero Landesväterliche Huld und preiswürdigste Sorgfalt, mit welcher Hoechst-Dieselben das Glück und den Wohlstand Hoechst Ihro getreuesten Unterthanen mildest beherzigen[,] um gnaedigste Abstellung unserer nur mehr als zu begründeten Beschwerden devotest zu bitten. […] 109 Der leseraum 4 Der unerschrockene, unabhängige, unbestechliche „Kerl“ Johann Wolfgang von Goethe: „Götz von Berlichingen“ (1771) Götz, der „Selbsthelfer“ Die Gestalt des Götz als eines „rohen, wohlmeinenden Selbsthelfers in wilder […] Zeit“ habe ihn schon in der Ju gend fasziniert, schreibt Goethe in „Dichtung und Wahrheit“. Und tatsächlich, wohlmeinend ist Goethes Götz, aber auch roh. Er überfällt Kaufleute, er bricht den Schwur, nicht wieder zu den Waffen zu greifen. Goethe recht fertigt dies zwar mit Götz’ aussichtsloser Lage, doch im Grunde spielt der Eidbruch keine wichtige Rolle. Was zählt, ist die freie Selbstbestimmung des Genies, seine Individualität, das Pochen auf „Naturrecht“ und sein „Selbsthelfertum“. Der literarische Götz wird von Goethe zur Kultfigur nach dem Geschmack der Stürmer und Dränger gemacht. Götz ist streitbar, volksnah, aktionsbereit, nicht fehlerfrei. Goethe war gegenüber übermäch tigen Figuren stets skeptisch. Neben dem „Götz“ hatte Goethe zu dieser Zeit noch Pläne für Cäsar, Sokrates und MohammedDramen. Doch diese Stücke kamen über den Projektstatus nicht hinaus. Götz: Ein Glas, Bruder Martin, wird Euch nicht im Schlaf stören. Ihr seid heute viel gegangen. Bringt’s ihm. […] Martin: In Gottes Namen! […] Götz: Was seht Ihr mich so an, Bruder? Martin: Dass ich in Euren Harnisch verliebt bin. Bürgers „Münchhausen“ INFO Auch Sie haben vielleicht schon, ohne es zu wissen, ein Werk Bürgers gelesen. Die Erzählungen des Lügenbarons Münchhausen beruhen auf einer Bearbeitung des Stoffes durch Bürger, der überdies einige der bekanntesten Geschichten eingefügt hat: Ritt auf der Kanonenkugel, Münchhausen zieht sich samt Pferd an seinem Haarschopf aus dem Sumpf etc. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 2 4 6 AUFGABE > Welche sozialen Probleme der Bauern kommen in diesem Schreiben zusätzlich zum Jagdund Wild problem zur Sprache? – An welchen Stellen zeigt sich sprachlich der Abstand zwischen Fürsten und Bauern? AUFGABE > Lesen Sie aus dem 1. Akt einen Auszug aus der Szene „Herberge im Wald“. Goethe konfrontiert mit Götz und dem Klosterbruder Martin zwei unterschiedliche Charaktere: Götz als den „Stürmer und Dränger“, Martin als den die Ideale der Aufklärung lebenden selbstbeherrschten, vernünftigen, Regeln anerkennenden, aber unter ihnen leidenden Menschen. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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