Literaturräume, Schulbuch

112 sturm unD Drang (1770–1785/90) Ein alter Kammerdiener des Fürsten, der ein Schmuckkästchen trägt. […] Kammerdiener: Seine Durchlaucht der Herzog empfehlen sich Mylady zu Gnaden, und schicken Ihnen diese Brillanten zur Hochzeit. Sie kommen soeben erst aus Venedig. Lady (hat das Kästchen geöffnet und fährt erschrocken zurück) : Mensch! was bezahlt dein Herzog für diese Steine? Kammerdiener (mit finsterm Gesicht) : Sie kosten ihn keinen Heller. Lady: Was? Bist du rasend? Nichts? – und (indem sie einen Schritt von ihm wegtritt) du wirfst mir ja einen Blick zu, als wenn du mich durchbohren wolltest – Nichts kosten ihn diese unermesslich kostbaren Steine? Kammerdiener: Gestern sind siebentausend Landskinder nach Amerika fort – Die zahlen alles. von oben bis unten aufgerissen und die Narben der Kämpfe gezeigt, „grässlich-rasend“ fühlen sich die Männer, „schäumend auf die Erde stampfend“ reagiert Karl, der sich manchmal auch „in ekstatischer Wonne“ fühlt; sie „werfen sich wild in einen Sessel“ , schießen „einander über die Köpfe“ , bloß um sich aufzuwecken. So klingt es zum Beispiel, als Karl seinen alten Vater im Turm findet und seinem Bruder Vergeltung schwört: 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Moor: Rache, Rache, Rache dir! grimmig beleidig- ter, entheiligter Greis! So zerreiß ich von nun an auf ewig das brüderliche Band! (Er zerreißt sein Kleid von oben bis unten.) So verfluch ich jeden Tropfen brüderlichen Bluts im Antlitz des offenen Himmels! Höre mich Mond und Gestirne! Höre mich mitternächtlicher Himmel! der du auf die Schandtat herunterblicktest! Höre mich dreimal schröcklicher Gott, der da oben über dem Monde waltet, und rächt und verdammt über den Ster- nen, und feuerflammt über der Nacht! Hier knie ich – hier streck ich empor die drei Finger in die Schauer der Nacht – hier schwör ich, und so speie die Natur mich aus ihren Grenzen wie eine bös- artige Bestie aus, wenn ich diesen Schwur verletze, schwör ich, das Licht des Tages nicht mehr zu grü- ßen, bis des Vatermörders Blut, vor diesem Steine verschüttet, gegen die Sonne dampft. „Kabale und Liebe“ – Liebestragödie und Politik Ein Adeliger liebt die Tochter eines Musikus. Beide Väter sind dagegen. Der adelige Vater, weil er mit seinem Sohn andere Pläne hat, der bürgerliche Vater, weil er weiß, wie unüberwindlich Standesgrenzen sind. Auch hier, wie in den „Räubern“, führen Verleumdungen, Intrigen, falsche Briefe und Eifersucht zur Katastrophe, zum Tod der Liebenden. Eine ähnliche Thematik, vor allem die moralisch zweifelhafte Adelsgesellschaft, war dem Publi­ kum aus den bürgerlichen Trauerspielen Lessings, „Miß Sara Sampson“ und „Emilia Galotti“, bekannt. Das we­ sentlich Neue in Schillers Stück ist, dass sich die Anklage nicht auf allgemeine oder erfundene Begebenheiten beschränkt, sondern konkrete Missstände anklagt. Viele Fürsten scheuten nicht davor zurück, sich ihren Luxus zu sichern, indem sie ihre Untertanen als Soldaten an fremde Armeen verkauften, die im amerikanischen Unab­ hängigkeitskrieg auf Seiten Englands oder für die Kolonialherren in Afrika kämpfen mussten. 50 % der Verkauften wurden in diesen Kriegen getötet. Schillers Landesherr war allerdings in diesem Punkt nicht der Schlimmste. Der berüchtigtste Menschenhändler war der Herzog von HessenKassel, der ganze Kontingente an die Engländer verschacherte. Die „Kammerdienerszene“ aus dem zweiten Akt von „Kabale und Liebe“ – der Herzog schickt seiner Geliebten Diamanten – thematisiert diese Gepflogenheit: INFO Der Menschenhandel in der Realität „Der Landgraf von Hessenkassel bekommt jährlich 450.000 Thaler für seine 12.000 tapferen Hessen, die größtentheils in Amerika ihr Grab finden werden. Der Herzog von Braunschweig erhält 65.000 Thaler für 3964 Mann Fußvolks und 360 Mann leichter Reuterey, wovon ohnfehlbar sehr wenige ihr Vaterland sehen werden. Der Erbprinz von Hessenkassel giebt ebenfalls ein Regiment Fußvolk ab, um den Preis von 25.000 Thaler. 20.000 Hannoveraner sind bekanntlich schon nach Amerika bestimmt, und 3000 Mecklenburger für 50.000 Thaler auch. Nun sagt man, der Churfürst von Bayern werde ebenfalls 4000 Mann in Englischen Sold geben. Ein furchtbarer Text […] für Patrioten, denen’s Herz pocht, wenn Mitbürger das Schicksal der Negersklaven haben und als Schlachtopfer in fremde Welten verschickt werden.“ Christian Friedrich Daniel Schubart: Teutsche Chronik aufs Jahr 1776 (in Originalschreibung der Quelle) 2 4 6 8 10 12 14 16 18 AUFGABE > Bestimmen Sie die dominierenden Stilmittel in Karl Moors Verzweiflungsschwur! Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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