Literaturräume, Schulbuch
114 sturm und drang (1770–1785/90) adeligen Abendgesellschaft verwiesen worden und kündigt seinen Dienst. Juli : Werther kehrt zu Lotte und Al bert zurück. Man plant, freundschaftliche Beziehungen aufzunehmen. Doch Werther bleibt ein Außenstehender, hat das Gefühl, dass niemand Lotte so liebe wie er. Seine Leidenschaft steigert sich, er hat das Gefühl, ein norma les, geregeltes Leben nicht mehr ertragen zu können. 21. Dezember: Gegen ihren Willen besucht Werther Lotte, er liest ihr Gedichte vor, verliert seine Beherrschung. Er umarmt und küsst Lotte, wirft sich ihr zu Füßen. Lotte, voll uneingestandener Zuneigung zu Werther, flüchtet ins Nebenzimmer. Werther ist zutiefst getroffen. 22. De- zember: Unter dem Vorwand, eine Reise antreten zu wollen, leiht sich Werther Alberts Pistolen aus. Er schreibt einen Abschiedsbrief und erschießt sich. 23. Dezember: Tod Werthers. In der Folge finden Sie das Ende des Textes. Werther schreibt Lotte den Abschiedsbrief: […] In diesen Kleidern, Lotte, will ich begraben sein, du hast sie berührt, geheiligt; ich habe auch deinen Vater darum gebeten. Meine Seele schwebt über dem Sarge. Man soll meine Taschen nicht aussuchen. Diese blassrote Schleife, die du am Busen hattest, als ich dich zum ersten Male unter deinen Kindern fand. […] Diese Schleife soll mit mir begraben werden. An meinem Geburtstage schenktest du sie mir! Wie ich das alles verschlang! – Ach, ich dachte nicht, dass mich der Weg hierher führen sollte! – Sei ruhig! ich bitte dich, sei ruhig! Sie sind geladen – Es schlägt zwölfe! So sei es denn! – Lotte! Lotte, lebe wohl! lebe wohl! Ein Nachbar sah den Blitz vom Pulver und hörte den Schuss fallen; da aber alles stille blieb, achtete er nicht weiter drauf. Morgens um sechse tritt der Bediente herein mit dem Lichte. Er findet seinen Herrn an der Erde, die Pistole und Blut. Er ruft, er fasst ihn an; keine Antwort, er röchelt nur noch. Er läuft nach den Ärzten, nach Alberten. Lotte hört die Schelle ziehen, ein Zittern ergreift alle ihre Glieder. Sie weckt ihren Mann, sie stehen auf, der Bediente bringt heulend und stotternd die Nachricht, Lotte sinkt ohnmächtig vor Alberten nieder. Als der Medikus zu dem Unglücklichen kam, fand er ihn an der Erde ohne Rettung, der Puls schlug, die Glieder waren alle gelähmt. Über dem rechten Auge hatte er sich durch den Kopf geschossen, das Gehirn war herausgetrieben. Man ließ ihm zum Überfluss eine Ader am Arme, das Blut lief, er holte noch immer Atem. Aus dem Blut auf der Lehne des Sessels konnte man schließen, er habe sitzend vor dem Schreibtische die Tat vollbracht, dann ist er heruntergesunken, hat sich konvulsivisch um den Stuhl herumgewälzt. Er lag gegen das Fenster entkräftet auf dem Rücken, war in völliger Kleidung, gestiefelt, im blauen Frack mit gelber Weste. […] „Emilia Galotti“ lag auf dem Pulte aufgeschlagen. Von Alberts Bestürzung, von Lottens Jammer lasst mich nichts sagen. […] Um zwölfe mittags starb er. Die Gegenwart des Amtmannes und seine Anstalten tuschten einen Auflauf. Nachts gegen eilfe ließ er ihn an die Stätte begraben, die er sich erwählt hatte. […] Man fürchtete für Lottens Leben. Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet. Werther, Goethe und Jerusalem Goethes „Werther“ hat autobiographische Hintergründe. 1772 praktiziert der Autor als Jurist im Gericht von Wetzlar. Auf der Fahrt zu einem Fest sitzen Goethe und eine Dame namens Charlotte (Lotte) Buff in der gleichen Kutsche. Der 23-Jährige verliebt sich sofort. Doch Charlotte ist bereits an Johann Christian Kestner vergeben, acht Jahre älter als Goethe. Lotte schwärmt wie Goethe für Natur und Poesie, aber sie macht ihm klar, dass sie zu Kestner gehört. „Sie hält ihn kurz“ , vermerkt Kestner in seinem Tagebuch. Dennoch pflegen alle drei freund schaftlichen Umgang. Kestner bedauert fast, dass er zwischen seiner Braut und Goethe steht, den er wegen sei ner Ungebundenheit beneidet. Im Herbst fühlt sich Goethe in dieser Dreieckssituation so unwohl, dass er nach Frankfurt flüchtet, wo er für Lotte und Kestner die Eheringe besorgt. Auf der Fahrt nach Frankfurt macht er bei Sophie von La Roche Station, der Autorin der „Geschichte des Fräuleins von Sternheim“, und verliebt sich in ihre 16-jährige Tochter Maximiliane. Doch auch sie ist schon versprochen, an den 20 Jahre älteren Kaufmann Peter Brentano. In Wetzlar erschießt sich aus unglücklicher Liebe im Herbst des Jahres der Beamte Carl Wilhelm Jerusalem, den Goethe auf dem Fest mit Lotte getroffen hatte. Die Pistolen hatte sich Jerusalem von Kestner ausgeliehen. In diesem Moment schoss für Goethe laut „Dichtung und Wahrheit“ das Material „von allen Seiten zusammen und ward eine solide Masse“ . In vier Wochen war „Werther“ geschrieben. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=