Literaturräume, Schulbuch
Das Echo der Zeit „Werther“ wurde ein Bestseller, Befürworter und Kritiker des Textes lieferten einander mediale Fehden. Parodis ten fühlten sich herausgefordert, den extremen Gefühlen des Textes satirisch die Spitze zu nehmen, vor allem weil mit dem Text auch gefährliche „Nebenwirkungen“ in Zusammenhang gebracht wurden: eine Reihe von Selbstmorden im „WertherStil“. 115 Der leseraum Christian Daniel Schubart in: Deutsche Chronik, 5. Dezember 1774 Da sitz ich mit zerflossnem Herzen, mit klopfender Brust und mit Augen, aus welchen wollüstiger Schmerz tröpfelt, und sag Dir, Leser, dass ich eben „Die Leiden des jungen Werther“ von meinem lieben Goethe – gelesen? – nein, verschlungen habe. Kritisieren soll ich? Könnt’ ich’s, so hätt ich kein Herz … Soll ich einige schöne Stellen herausheben? Kann nicht … Kauf ’s Buch und lies selbst! Dekan der theologischen Fakultät Leipzig an die Sächsische Bücherzensurbehörde am 28. Januar 1775 Es wird ein Buch verkauft, welches den Titel führt Leiden des jun- gen Werthers usw. Diese Schrift ist eine Apologie 1 und Empfeh- lung des Selbst-Mordes; und es ist auch um des Willens gefähr- lich, weil es in witziger und einnehmender Schreibart abgefasst ist. Einige gelehrte und sonst gesetzte Männer haben gesagt, dass sie sich nicht getrauet hätten das Buch durchzulesen, sondern es etliche Male weggelegt hätten. Da die Schrift also üble Impres- siones machen kann, welche, zumal bei schwachen Leuten, Weibspersonen, bei Gelegenheit aufwachen, und ihnen verführe- risch werden können; so hat die Theologische Fakultät für nötig gefunden zu sorgen, dass diese Schrift unterdrücket werde: da zumal itzo die Exemples des Selbst-Mordes frequenter werden. Daher ich die Löbl. Bücher Commission im Namen jener ersuche, den Verkauf dieser Schrift zu verbieten, und dadurch üblen Folgen vorbeugen zu helfen. 7 „... weil das Fräulein eine große Anlage von Verstand zeigte.“ Sophie von La Roche: „Geschichte des Fräuleins von Sternheim“ (1771) Eine starke Frau Das Fräulein von Sternheim kommt nach dem Tod ihrer Eltern unter die Obhut von Verwandten am Fürstenhof. Sie distanziert sich bewusst von den putzsüchtigen, koketten und Intrigen spinnenden Hofdamen, die das Fräu lein dem Fürsten als Mätresse zuführen wollen. Sie unterstützt lieber Arme und Kranke. Solche Kritik am Hof in einem Roman zu formulieren, war nicht ohne Wagnis, noch dazu wenn der Roman von einer Frau stammte. 1 Verteidigung Der gefährliche, der glückliche, der neue „Werther“ INFO Man kleidet sich à la Werther: gelbe Weste, blauer Frack, braune Stulpen stiefel, runder Filzhut. „Eau de Werther“ dient als Parfum, Porzellan, bemalt mit Wertherszenen, schmückt die Haushalte. Selbstmörder stellen ihren Suizid dem Freitod Werthers nach. Leipzig, Kopenhagen, Mailand verbieten das Buch. In Leipzig ist es bis 1825 untersagt, die WertherTracht zu tragen. Goethe argumentiert, er gebe durch sein eigenes Überleben das beste Beispiel: Man müsse sich seine Probleme von der Seele schreiben. Ein glückliches Ende nimmt das „Werther“Thema in der Anekdote „Der neuere (glücklichere) Werther“ von Heinrich von Kleist. Zur Identifikationsfi gur wird „Old Werther“ auch für den Edgar, den Helden aus dem 1972 in der DDR erschienenen Stück „Die neuen Leiden des jungen Werther“ von Ulrich Plenzdorf. In einer oberflächlichen Gesellschaft ist Edgars Freund Willi der einzige Kontakt. Edgar schickt ihm Tonbänder mit Zitaten aus Goethes „Werther“, um seine Lage zu beschrei ben. Auch Edgar endet tragisch. 2 4 6 2 4 6 8 10 12 14 AUFGABE > Fassen Sie die beiden folgenden Stellungnahmen zu „Werther“ zusammen! Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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