Literaturräume, Schulbuch

Kleists radikale Absage an den optimistischen Humanismus Kleists Absage an die optimistische Idee des Humanismus wird besonders im Vergleich mit Goethes „Iphigenie“ deutlich. Aber auch Schillers Gedanke, dass die Menschheit über das Ästhetische zum Guten erziehbar sei, hat im „Erdbeben in Chili“ keinen Platz. 143 Der leseraum Blindheit überall Kleists Verzweiflung, dass die Welt nicht objektiv interpretierbar und erkennbar sei, kennzeichnet auch seine übrigen Werke. „Das Bettelweib von Locarno“ ist geprägt von der Undurchschaubarkeit, ob etwas Spuk oder Realität ist. In „Michael Kohlhaas“ bringt die maßlose Fehleinschätzung dessen, was in einer Gemeinschaft er­ laubt sein kann, einem von den Mächtigen ums Recht gebrachten Pferdehändler und seiner Umgebung Not und Untergang. Nur selten kommt die Wahrheit ans Licht, und wenn, dann auf verschlungenem Weg und nach lan­ gem Leugnen, so wie im Lustspiel „Der zerbrochene Krug“. Das Drama ist analytisch aufgebaut, die wesentlichen Ereignisse geschehen vor der eigentlichen Bühnenhandlung. Auf der Bühne vollzieht sich deren Aufdeckung. Nur der Zuschauer weiß mehr als die zunächst „blinden“ Personen des Stücks. Die Wissenschaft bezeichnet ein sol­ ches „Mehrwissen“ des Publikums als dramatische Ironie . Auch die von Goethe aufgrund ihrer „Wildheit“ abge­ lehnte Tragödie „Penthesilea“ beruht auf dem Nichtdurchschauen von Fakten: Die Amazonenkönigin Penthe­ silea liebt mit Achill unwissentlich den Mann, dem sie im Kampf vor Troia unterlegen war. Eine solche Liebe verbietet aber ein Gesetz ihres Volkes. Die Irrtümer Penthesileas summieren sich zumMord an Achill, den sie mit ihren Zähnen zerfleischt. „Goethe und seine Zeitgenossen“ Das Verhältnis Goethes zu seinen Dichterkollegen war oft sehr zwiespältig, und das sowohl von Seiten Goethes als auch von Seiten der anderen Dichter. Von offener Ablehnung bis zu Unterwürfigkeit, langsamer Annäherung und offensivem Werben gibt es alle Fassetten. Gestalten Sie ein Projekt, in dem Sie das Verhältnis zwischen Goethe und seinen Zeitgenossen wie Lenz, Schiller, Kleist, Hölderlin, Herder, Wieland, Jean Paul, Heine beleuchten – eine Gruppe „übernimmt“ jeweils einen Autor! Die nötigen Informationen dafür finden Sie zum Beispiel in „Goethe und seine Zeitgenossen“ von Ludwig Fertig (1999). Eine bewusst polemische Darstellung von Goethes Verhalten gegenüber anderen finden Sie in „Goethe und seine Opfer. Eine Schmähschrift“ von Tilman Jens (1999). PROJEKT AUFGABEN > Fassen Sie das Geschehen im „Erdbeben in Chili“ zusammen! > Nehmen Sie einen Satz Ihrer Wahl aus dem „Erdbeben“ und zeichnen Sie dessen Satzpartitur! AUFGABEN > Das erste analytische Drama der Weltliteratur ist „König Ödipus“ von Sophokles. Kleist verweist im „Zerbrochenen Krug“ durch Handlung und Anspielungen deutlich auf dieses Drama. So hat zum Beispiel die Hauptperson einen Klumpfuß (griechisch „oidipos“ – Schwellfuß). Befassen Sie sich zum Beispiel mit Hilfe eines Dramenführers, welche Vorgänge in „König Ödipus“ und im „Zerbrochenen Krug“ aufgeklärt werden! Schlagen Sie Details zum Inhalt der „Penthesilea“ nach! > „Einfache“ Kleistlektüre bieten Kleists 20 meisterhafte Anekdoten; lesen Sie Ihre „Lieblingsanekdote“ oder eine Anekdote des zweiten großen Anekdotenschreibers der Zeit, Johann Peter Hebel („Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes“) in der Klasse vor! Nur zu Prüfzwecken – Eige tum des Verlags öbv

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