Literaturräume, Schulbuch

144 DIe „ WeImarer klassIk“ (1786/1794–1805) unD Der „ geIst Der goethezeIt“ (bIs 1832) Der fokus „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?“ Reisehit Italien Die Italienreisen der Deutschen haben eine lange Tradition. Die Kaiser des Mittelalters mussten nach Rom, um sich vom Papst krönen zu lassen, die deutschen Künstler der Renaissance, wie Dürer, fuhren nach Italien, um ihr Schaffen weiterzuentwickeln, deutsche Gelehrte besuchten das Land, um sich den Quellen des Humanismus nähern zu können. Barockbaumeister wie der Österreicher Fischer von Erlach reisten nach Rom, um Kirchen nach dem Vorbild des Petersdoms zu bauen. Winckelmanns Impuls Der touristische Italienboom beginnt im 18. Jahrhundert. Das Bürgertum, das sich die Reise leisten kann, trägt dazu ebenso bei wie Verbesserungen der Reisemöglichkeiten durch ein System von Kutschenund Pferdewech­ selstationen. Einen entscheidenden Anstoß gibt Johann Joachim Winckelmann. Wer der Antike wirklich begeg­ nen will, muss zur Antike reisen, die Originale sehen. Bilder und Kopien der klassischen Kunstwerke sind, wie er schreibt, „nur der Schatten, nicht die Wahrheit. […] Es kann […] die wahre und völlige Kenntnis des Schönen in der Kunst nicht anders, als durch Betrachtung der Urbilder selbst, und vornehmlich in Rom erlanget werden; und eine Reise nach Italien ist denjenigen zu wünschen, die mit Fähigkeit zur Kenntnis des Schönen von der Natur begabt sind […].“ In Italien entsteht die erste Tourismusindustrie und Kunstreisende klagen auch bereits über Fälschungen, die ihnen statt der antiken Originale verkauft werden. Goethes Italienerlebnis Am 3. September 1786 bricht Goethe heimlich nach Italien auf. Er flieht auch aus einer persönlichen Krise: Das Dichten in Weimar stockt wegen der umfangreichen Amtsgeschäfte, die Goethe als Minister zu erledigen hat. Seine Beziehung zu seiner Freundin Frau von Stein ist problematisch geworden. Ende Oktober erreicht er, inko­ gnito unter dem Namen „Filippo Miller“, Nationalität „Tedesco“, Beruf „Pittore“, Rom. Die Stadt und ihre Kunst nehmen ihn gefangen: Denn es geht, man darf wohl sagen, ein neues Leben an, wenn man das Ganze mit Augen sieht, das man teilweise in- und auswendig kennt. Alle Träume meiner Jugend seh’ ich nun lebendig; die ersten Kupferbilder, deren ich mich erinnere […], seh’ ich nun in Wahrheit, und alles, was ich in Gemälden und Zeichnungen, Kupfern und Holzschnitten schon lange gekannt, steht nun beisammen vor mir, wohin ich gehe, finde ich eine Bekanntschaft in einer neuen Welt; es ist alles wie ich mir’s dachte und alles neu.“ Doch auch die Natur, die Vorteile des alltäglichen Lebens im Sü­ den, wie das „fischreiche Meer“ , dass „allerlei Obst und Garten- früchte zu jeder Jahreszeit in Überfluss zu haben sind“ , und „süd­ liche“ Sinnlichkeit beeindrucken ihn. Dies beweisen die „Rö­ mischen Elegien“, die Goethe nach seiner Rückkehr verfasst und in denen er sich an seine römische Geliebte, die er „Faustina“ nennt, erinnert: Hier befolg ich den Rat, durchblättre die Werke der Alten Mit geschäftiger Hand, täglich mit neuem Genuss. Aber die Nächte hindurch hält Amor mich anders beschäftigt; […] Raubt die Liebste denn gleich mir einige Stunden des Tages, Gibt sie Stunden der Nacht mir zur Entschädigung hin. INFO Goethes „Römische Elegien“ bestehen aus Distichen, einem Doppel­ vers aus Hexameter und Pentameter (fünfbzw. sechsfüßige Daktylen mit Mittelzäsur). Goethe verwendet den Begriff Elegie im antiken Sinn. Er bezeichnete dort jedes aus Distichen bestehende Gedicht unterschiedlichster Thematik: Lebensfreude, Klagelieder, Liebesdichtung. Heutzutage bedeutet „elegisch“ so viel wie schwermütig. Diese Einengung fand erst in der „Empfindsam­ keit“ statt. 2 4 6 2 4 6 8 10 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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