Literaturräume, Schulbuch
Fausts rein wirtschaftlich bestimmtes Verhalten hat Konsequenzen Konsequenz eins: die Zerstörung von Menschen und Natur Bei der Eindeichung des ihm vom Kaiser überlassenen Landes zerstört Faust den Lebensraum des dort friedlich wohnenden alten Paares Philemon und Baucis. Die beiden wollen aus dem Küstengebiet, wo ihre Hütte steht, nicht fortziehen. Faust gibt Mephistopheles den Befehl, die beiden „umzusiedeln“. Mephistopheles führt den Befehl aus und berichtet: 183 Wir aber haben nicht gesäumt, Behende sie dir weggeräumt. Das Paar hat sich nicht viel gequält, Vor Schrecken fielen sie entseelt. Ein Fremder, der sich dort versteckt Und fechten wollte, ward gestreckt. In wilden Kampfes kurzer Zeit Von Kohlen, ringsumher gestreut, Entflammte Stroh. Nun lodert’s frei, Als Scheiterhaufen dieser drei. Faust tut entrüstet, insgeheim ist er aber froh, sein Vorhaben der Landgewinnung realisieren zu können. Konsequenz zwei: das Unvermögen, den erlangten Reichtum zu genießen Mit dem Reichtum nimmt die Sorge zu: Wie ist der erworbene Reichtum zu schützen, wie wird die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung sein? So geht es auch Faust, der mit seinem Eindämmungsprojekt zum Großunter nehmer geworden ist. Zwar kann Faust mit dem erworbenen Reichtum den „Mangel“ und die „Not“ fernhalten, doch die „Sorge“ schleicht sich durchs Schlüsselloch ein. Faust will sie abwehren, doch sie ist stärker: Die Sorge: Wen ich einmal mir besitze, Dem ist alle Welt nichts nütze; Und er weiß von allen Schätzen Sich nicht in Besitz zu setzen. […] Er verhungert in der Fülle […]. Faust sucht die Sorge zu verdrängen. Er hält es nicht für nötig, die mit seinen Projekten verbundenen Gefahren zu bedenken, sondern rechnet mit einer ökonomisch und technisch abgesicherten Zukunft. Doch die Sorge ist unverdrängbar und lässt Faust erblinden: Die Sorge: Erfahre […], wie ich geschwind Mich mit Verwünschung von dir wende! Die Menschen sind im ganzen Leben blind, Nun, Fauste, werde du’s am Ende! 2 4 6 8 10 2 4 2 4 Der blinde Faust gibt den Dammbauarbeitern den letzten Befehl: Vom Lager auf, ihr Knechte! Mann für Mann! Lasst glücklich sehen, was ich kühn ersann. Ergreift das Werkzeug, Schaufel rührt und Spaten. Faust hört das Geklirr der Schaufeln, erkennt aber nicht, dass es nicht mehr um Trockenlegung geht, sondern dass sein Grab ausgehoben wird. Geblendet von der Vision ewigen Fortschritts kann er die Wirklichkeit nicht mehr wahrnehmen. Stolz auf sein Unternehmen, glaubt Faust die Sterblichkeit des Menschen überwunden zu haben: Es kann die Spur von meinen Erdentagen Nicht in Äonen untergehn. – Im Vorgefühl von solchem hohen Glück Genieß’ ich jetzt den höchsten Augenblick. Doch in dem Moment, in dem Faust meint, durch seine Taten die Zeit festhalten und unsterblich werden zu können, verliert er die Zeit und das Leben. Goethe lässt Faust in dem Augenblick sterben, als sein wirtschaft liches Unternehmen gelingt. Macht man alles ohne Rücksicht zu Geld und zur Ware, zerstört man sich und das Leben. 2 2 4 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=