Literaturräume, Schulbuch
218 Der poetIsche realIsmus (1850–1900) 3 „Ein Verhängnis, von keinem gewollt, von keinem verschuldet“ Peter Rosegger: „Die Entseelung des Arbeiters“ und „Volkswohlstand“ (1907) Gesellschaftliche Umwälzungen, nicht weit entfernt von Saars Steinklopfern Gleich „hinter“ dem Semmering liegt das steirische Mürztal. Dort und in den benachbarten Waldbergen wächst der Bauernbub Rosegger auf. Die kargen Verhältnisse der Kindheit schildert er in „Waldheimat“ (1877). Auch heute noch trägt die Gegend diesen Namen. Rosegger gibt kein idyllisierendes Bild vom Bauernleben, auch nicht von den vorindustriellen Herren der Gegend, den „Hammerherren“, von denen sich die dort Arbeitenden auch vorschreiben lassen müssen, dass sie sich ein Halstuch umbinden oder den Mund säubern sollten, wenn sie mit den „Herren“ sprechen wollten. Rosegger ist aber auch skeptisch gegenüber den Veränderungen durch Industri alisierung, den neuen Bedingungen, sich das „Brot“ sichern zu müssen, und hellsichtig gegenüber neuen sozialen Ungerechtigkeiten. In seinen Werken, unter denen besonders dem Roman „Jakob der Letzte“ (1888) große Be deutung zukommt, schildert der Realist Rosegger das, was er selbst erlebt und sieht: die Umwandlung von Hand werksbetrieben in große Fabriken, das Abwandern der Bauern. Gerade das Mürztal wurde für diese Industriali sierung exemplarisch. Basis waren die Erzvorkommen am Erzberg, Holz und Wasserkraft als Energiequelle. Die Landbevölkerung geriet in diese Umwälzungen. Zwei Texte sollen Sie mit diesen Fragen aus der Sicht Roseggers bekanntmachen. Die Entseelung des Arbeiters Wer ein wenig in der Arbeiterfrage bewandert ist, weiß, dass mit der Entwicklung zum Industrialismus eine Erscheinung in die Welt der Arbeit eingezogen ist, die, von keinem gewollt und von keinem verschuldet, wie ein Verhängnis über die Menschheit hereingebrochen zu sein scheint und nun, als solle ein tragisches Schicksal sich auswirken, immer weitere Kreise zieht und ein Tätigkeitsgebiet nach dem anderen sich untertänig macht: wir meinen die Entseelung des Arbeitsprozesses. […] [Die Hand- werker früher] schufen als frei schaltende und gestaltende Menschen, […] sie schufen ein Ganzes, wie sie selbst als Ganzes, als Individuum, das heißt als ungeteilte Persönlichkeit, ihrer Arbeit gegenüber- standen. – Der „Segen“ unserer technischen Kultur- entwicklung hat das geändert. An die Stelle des lebenden und geliebten Gerätes ist eine tote Maschi- ne getreten, an Stelle der schaffenden Persönlichkeit ein Teilfunktionär, an die Stelle der lebendig wechselvollen Arbeit eine monotone Verrichtung, an die Stelle des in sich fertigen Produktes ein Teil des Ganzen, oder ein Teil des Teiles oder noch weniger. Die Seele schwingt nicht mehr mit, wenn die Räder surren, das Herz bleibt kalt, wenn auch das Stückgut sich formt, das Streben nach Selbstvervollkomm- nung hört auf, wo der Mechanismus arbeitet, der 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 AUFGABEN Die folgenden Arbeitsanregungen können die Beschäftigung mit dem Text, eventuell als Klassenlektüre, „vertiefen“: > Welcher Konflikt deutet sich bereits beim Hundekauf an – siehe Textausschnitt? > Gliedern Sie die Handlung in einzelne Abschnitte (Szenen), geben Sie den Szenen Titel! Beispiel: Szene 1: Der Hundekauf; Szene 2: Der Widerstand des Hundes; Szene 3: … > Welche sozialen Gruppen kommen im Text vor, durch welche Personen werden sie repräsentiert? > Welches Ereignis ist das auslösende Moment für die Tötung des Oberförsters? > Welchen grundlegenden Konflikt erlebt der Hund? In wie viele verschiedene Etappen würden Sie das wechselnde Verhalten des Hundes gliedern? > Was löst den Tod des „Gelben“ aus? > Wo entscheidet sich Krambambulis Schicksal? > Schauen Sie die als Video/DVD erhältliche Verfilmung der Erzählung an (Regie: Xaver Schwarzenberger, Drehbuch: Felix Mitterer). Welche Unterschiede zur Erzählung können Sie feststellen? Nur zu Prüfzwecken – Eig ntum des Verlags öbv
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