Literaturräume, Schulbuch

die Begradigung? Jetzt, da kein mittlerer Acker Manz und Marti mehr trennt, sind sie zu unmittelbaren Gegnern geworden. Besitz und „Ehre“ heißt ihre Parole. Es kommt zum Prozess. Nach 10 Jahren des Prozessierens sind beide am Ende, „von Grund auf in Schulden“ . Unmittelbar betroffen sind die Kinder. Die Erwachsenen verbieten ihnen den Umgang miteinander. Jahrelang sehen sie einander nicht. Väterkampf und Wolkenriss Um überhaupt etwas zu essen zu haben, müssen die Väter, begleitet von Sali und Vrenchen, fischen. Am Bach, an einem Regentag, begegnen die Männer einander. Nur mehr als Tiere sehen sie einander: „Hund“, „Lumpenhund“, „Galgenhund“, „Kalb“ werfen sie sich an den Kopf, wie „ein Tiger“ schleichen sie den Bach entlang, finden einen Steg. Nach zehn Jahren sehen einander auch die Kinder wieder. 221 Der leseraum Es fing an zu blitzen […], und schwere Regentrop- fen fielen, als die verwilderten Männer gleichzeitig auf die schmale, unter ihren Tritten schwankende Brücke stürzten, sich gegenseitig packten und die Fäuste in die vor Zorn und ausbrechendem Kummer bleichen zitternden Gesichter schlugen. […] Nachdem sie ein oder zweimal geschlagen, hielten sie inne und rangen still zitternd miteinander […], und einer suchte den andern über das knackende Geländer ins Wasser zu werfen. Jetzt waren aber auch ihre Kinder nachgekommen und sahen den erbärmlichen Auftritt. Sali sprang eines Satzes heran, um seinem Vater […] zu helfen, dem gehassten Feinde den Garaus zu machen, der ohnehin der schwächere schien und eben zu unterliegen drohte. Aber auch Vrenchen sprang, alles wegwerfend, mit einem langen Aufschrei herzu und umklammerte ihren Vater, um ihn zu schützen, während sie ihn dadurch nur hinderte und beschwerte. […] Darüber waren die jungen Leute, sich mehr zwischen die Alten schiebend, in dichte Berührung gekommen, und in diesem Augenblicke erhellte ein Wolkenriss, der den grellen Abendschein durchließ, das nahe Gesicht des Mädchens, und Sali sah in dies ihm so wohlbekannte und doch soviel anders und schöner gewordene Gesicht. Vrenchen sah in diesem Augenblicke auch sein Erstaunen, und es lächelte ganz kurz und geschwind mitten in seinem Schre- cken und in seinen Tränen ihn an. Doch ermannte sich Sali, geweckt durch die Anstrengungen seines Vaters, ihn abzuschütteln, und brachte ihn mit eindringlich bittenden Worten und fester Haltung endlich ganz von seinem Feinde weg. Beide alte Gesellen atmeten hoch auf und begannen jetzt wieder zu schelten und zu schreien, sich voneinander abwendend; ihre Kinder aber atmeten kaum und waren still wie der Tod, gaben sich aber im Wegwen- den und Trennen, ungesehen von den Alten, schnell die Hände, welche vom Wasser und von den Fischen feucht und kühl waren. Unmögliche Liebe Am nächsten Tag treffen einander Vrenchen und Sali. Doch ihre Liebesbegegnung im verwilderten Kornfeld ihrer Väter wird doppelt gestört. Der schwarze Geiger taucht auf. Seine Prophezeiung: „Ich kenne euch, ihr seid die Kinder derer, die mir den Boden hier gestohlen haben! Es freut mich zu sehen, wie gut ihr gefahren seid, und werde gewiss noch erleben, dass ihr vor mir den Weg alles Fleisches geht!“ Die zweite Störung: Vrenchens Vater erscheint. Er misshandelt Vrenchen, Sali schützt sie, sein Stein trifft Vrenchens Vater. Der bricht zusammen und ist von da ab geistig verwirrt, wird ins Siechenhaus abgeschoben. Für die Kinder ist die Liebe doppelt unmöglich geworden. Die Verletzung von Vrenchens Vater lastet auf Sali, und es fehlt ihnen die materielle Grundlage für das Zusam­ menleben. Möglich wäre es für Sali, Soldat zu werden, so wie viele Seldwyler, Vrenchen könnte als Dienstmäd­ chen in eine Stadt, doch das wäre die Trennung. Andererseits ist eine andere Lebensform als eine Ehe für sie, die von dem Gedanken geprägt sind, dass Glück und Leben auf Ehre und Besitz beruhen, unvorstellbar: „Sie mochten so gern fröhlich und glücklich sein, aber nur auf einem guten Grund und Boden, und dieser schien ihnen unerreich- bar, während ihr wallendes Blut am liebsten gleich zusammengeströmt wäre.“ 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 AUFGABE > Welche Parallelen bestehen zwischen Wetter und Väterkampf einerseits und dem Augenblick des Wiedersehens der Kinder andererseits? Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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