Literaturräume, Schulbuch
Fensterflügel […] und sprach halblaut vor sich hin: „O du Gott im Himmel, vergib mir, was ich getan; ich war ein Kind … Aber nein, nein, ich war kein Kind, ich war alt genug, um zu wissen, was ich tat. Ich hab es auch gewusst, und ich will meine Schuld nicht kleiner machen … aber das ist zuviel. Denn das hier, mit dem Kind, das bist nicht du, Gott, der mich strafen will, das ist er, bloß er! Ich habe geglaubt, dass er ein edles Herz habe, und habe mich immer klein neben ihm gefühlt; aber jetzt weiß ich, dass er es ist, er ist klein. Und weil er klein ist, ist er grausam. Alles, was klein ist, ist grausam. Das hat er dem Kinde beigebracht […]: „O gewiss, wenn ich darf.“ Du brauchst nicht zu dürfen; ich will euch nicht mehr, ich hass euch, auch mein eigen Kind. Was zuviel ist, ist zuviel. Ein Streber war er, weiter nichts. – Ehre, Ehre, Ehre … und dann hat er den armen Kerl totgeschossen, den ich nicht einmal liebte und den ich vergessen hatte, weil ich ihn nicht liebte. Dummheit war alles, und nun Blut und Mord. Und ich schuld. Und nun schickt er mir das Kind, weil er einer Ministerin nichts abschlagen kann, und ehe er das Kind schickt, richtet er’s ab wie einen Papagei und bringt ihm die Phrase bei „wenn ich darf“ … Mich ekelt, was ich getan; aber was mich noch mehr ekelt, das ist eure Tugend. Weg mit euch.“ […] Als Roswitha wiederkam, lag Effi am Boden, das Gesicht abgewandt, wie leblos. Effi kommt nach Hause Gegen den Willen der Mutter nimmt der Vater die todkranke Effi schließlich doch auf, bald danach stirbt sie. Ursachenforschung wird von den Eltern nicht betrieben, denn, wie der Vater meint, „das alles ist ein zu weites Feld“ . Innstetten, der weiß, dass alles „einer Vorstellung, einem Begriff zuliebe“ geschehen ist, überlegt auszuwan- dern: „weg und hin unter lauter pechschwarze Kerle, die von Kultur und Ehre nichts wissen. Diese Glücklichen! Denn gerade das, dieser ganze Krimskrams ist doch an allem schuld.“ 225 der leseraum Effi Briest und die Realität INFO Fontanes Roman geht auf ein reales Ereignis zurück, die Geschichte des Barons Armand von Ardenne und seiner Frau Elisabeth. Elisabeth heiratet Ardenne aufgrund einer Intervention ihrer Mutter, obwohl sie ihn zuvor abgewiesen hat. Das Paar versammelt einen großen Freundes- kreis um sich, zu dem auch der Amtsrich- ter Hartwich zählt. Zwischen ihm und Elisabeth entwickelt sich ein Liebesverhält- nis; sie planen, sich von ihren Ehepartnern zu trennen. Ardenne, der von der Affäre erfahren hat, verschafft sich die Briefe Hartwichs, reicht die Scheidung ein und fordert seinen früheren Freund zum Duell, das im November 1886 stattfindet. Hartwich stirbt wenig später an seiner Schussverletzung, im März 1887 wird die Ehe geschieden. Ardenne wird wegen des Duells zu Festungshaft verurteilt, bald aber begnadigt. Elisabeth darf die gemeinsamen Kinder nicht wiedersehen; sie widmet sich für den Rest ihres Lebens humanitären Aufgaben und stirbt 1952, ein Jahr vor ihrem hundertsten Geburts- tag. 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 AUFGABEN > Zu Textausschnitt 1: Welche Motive für Effis Eheschließung lassen sich aus den Äußerungen von Mutter und Tochter erkennen? Was sind für Effi Briest die wichtigsten Komponenten einer Ehe? Bei der Verlobungsfeier spekuliert Effis Vater über die Bedeutung der Namen Geert und Effi: „Geert, wenn er nicht irre, habe die Bedeutung von einem schlank aufgeschlossenen Stamm und Effi sei dann also der Efeu, der sich darumzuranken habe.“ Welches Frauenbild entwirft dieser – dilettantische – Versuch einer Namens- deutung? > Zu Textausschnitt 2: Aus welchen Gründen verschließen Effis Eltern ihr Haus vor ihrer Tochter? Wie würden Sie den Ton des Briefes bezeichnen? Schreiben Sie in der Rolle einer Effi Briest aus dem 21. Jahrhundert einen Antwortbrief! > Zu Textausschnitt 3: Wer ist das „er“, von dem Effi nach der Begegnung mit ihrer Tochter spricht? Aus welchen Gründen misst Effi den sprachlichen Äußerungen ihrer Tochter so viel Gewicht bei, dass sie zusammenbricht? Welche Vorwürfe erhebt Effi gegen ihren Mann? > Welche Textstellen drücken die für den Realismus charakteristische Haltung aus, dass die Umstände nicht zu ändern seien? Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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