Literaturräume, Schulbuch
Der naturalIsmus (1885–1900) Die soziale Frage tritt in die Literatur, die Sympathie gehört den Ausgestoßenen, Lösungsprogramme gibt es nicht 1885 Die Lyriksammlung „Moderne Dichter Charaktere“ richtet sich gegen die literarischen „Phrasendrescher“ und kämpft für „moderne deutsche Lyrik“ ; im selben Jahr erscheint die naturalistische Programmzeitschrift „Die Gesellschaft“. 1900 „Mittelwert“ für das Ende des Naturalis mus: Höhepunkt 1889 mit der Aufführung des sozialkritischen Dramas „Vor Sonnenaufgang“ von Gerhart Hauptmann in der „Freien Bühne“; in den 90erJahren vorübergehende Abkehr Hauptmanns vom Naturalismus; 1911 „Die Ratten“, letztes großes naturalistisches Drama Hauptmanns. 233 Das funDament Der Aufschwung der Wissenschaft, aber auch harte soziale Gegensätze Die „glänzende Lichtseite“ der Wissenschaft und der „dunkle Abgrund“ der sozialen Verhältnisse Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts steht im Zeichen der optimistischen Suche nach wissenschaftlich über prüfbaren Naturgesetzen, die für die Entwicklung des Lebens, das Dasein des Menschen und das Verhältnis der Menschen untereinander bestimmend sind. Von ihnen erhofft man sich geistigen und materiellen Fortschritt. Parallel zu dieser „Lichtseite“ tut sich für die Beobachter der Epoche jedoch ein „dunkler Abgrund“ auf, die Ver schärfung der sozialen Gegensätze im Gefolge eines harten Konkurrenzkampfes. Der Naturwissenschafter und Philosoph Ernst Haeckel, ein wichtiger Vermittler der Ideen der Zeit, formuliert diesen Zwiespalt: 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 Das Geistesleben der Kulturvölker im letzten Dezennium des neunzehnten Jahrhunderts, dessen Abschluss wir mit raschen Schritten entgegeneilen, bietet […] ein Schauspiel ohnegleichen. Auf der einen Seite bewundern wir mit freudigem Stolze die erstaunlichen Fortschritte der Naturwissenschaft, welche diesem Jahrhundert den Stempel aufdrückt. […]. Im schroffen Gegensatze zu dieser glänzenden Lichtseite unseres heutigen Kulturlebens erblicken wir auf der anderen Seite einen dunkeln Abgrund, in welchem die Barbarei des verrufenen Mittelalters mit abstoßender Rohheit fortwirkt. Um geringfügiger Anlässe willen zerfleischen sich die modernen Kulturvölker gegenseitig in den blutigsten Kriegen – in jedem einzelnen Kulturstaate bekämpfen sich die Parteien, die alle dessen Gesamtwohl erstreben sollten, mit dem kurzsichtigsten Egoismus […]. Und dieser barbarische Zustand unserer sozialen, mora- lischen, politischen und religiösen Verhältnisse erhält sich ungestört bei allen Kulturvölkern der Gegen- wart. […] Inmitten dieser ungeheuren Gärung, inmitten des tobenden Kampfes der größten Gegensätze, erhebt sich lauter und lauter von allen Seiten der Ruf nach Begründung einer neuen festen Weltanschauung. Dass eine solche nicht an der Hand der bisher herrschenden Glaubenslehren und insbesondere nicht auf Grund sogenannter überna- türlicher Offenbarung gewonnen werden kann, bedarf für jeden unbefangenen Denker keines Beweises mehr. Vielmehr ist in erster Linie zu verlan- gen, dass diese neue Weltanschauung vernünftig ist, d. h. […] dass sie den festgestellten Grundsätzen unserer vorgeschrittenen Naturerkenntnis nicht widerspricht. 24 26 28 30 32 34 INFO 1881 elektrische Straßenbahn, 1882 erstes Elektrizitätswerk, 1884 Dampfturbine, 1887 Schallplatte, 1890 Luftreifen, 1892 Dieselmo tor, 1895 erste öffentliche Filmvorführung, 1896 drahtlose Telegrafie, 1898 Entdeckung der Radioaktivität, 1900 Quantentheorie. Die glänzende Entwicklung der Natur- wissenschaft ab den 80er-Jahren Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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