Literaturräume, Schulbuch

240 Der naturalIsmus (1885–1900) Kein strahlender Held, der die Weber zum Sieg führen könnte Weshalb lässt Hauptmann den Weberaufstand nicht erfolgreich enden? Die Antwort: Das hätte weder der poli­ tischen Skepsis der Naturalisten noch der historischen Wahrheit entsprochen. Hauptmann, dessen Großvater selbst schlesischer Weber war, hat die Umstände und das Scheitern des großen Weberaufstandes von 1844 ge­ nau recherchiert. Der Aufstand war durch Truppen nach wenigen Tagen niedergeschlagen, 10 Weber waren er­ schossen worden. 80 Angeklagte wurden zu insgesamt 203 Jahren Zuchthaus, 90 Jahren Festungshaft und 330 Peitschenhieben verurteilt. Zweimal „Weber“ – ein Vergleich Einige Tage nach dem Weberaufstand von 1844 veröffentlichte Heinrich Heine das bald in ganz Deutschland als Flugblatt verbreitete Gedicht „Die schlesischen Weber“. Es ist Hauptmann gut bekannt: Im düstern Auge keine Träne Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne: Deutschland, wir weben dein Leichentuch, Wir weben hinein den dreifachen Fluch – Wir weben, wir weben! Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten In Winterskälte und Hungersnöten; Wir haben vergebens gehofft und geharrt – Er hat uns geäfft, gefoppt und genarrt – Wir weben, wir weben! Ein Fluch dem König, dem König der Reichen, Den unser Elend nicht konnte erweichen, Der den letzten Groschen von uns erpresst Und uns wie Hunde erschießen lässt – Wir weben, wir weben! Ein Fluch dem falschen Vaterlande, Wo nur gedeihen Schmach und Schande, Wo jede Blume früh geknickt, Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt – Wir weben, wir weben! Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht, Wir weben emsig Tag und Nacht – Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch, Wir weben hinein den dreifachen Fluch, Wir weben, wir weben! 3 „Der Erste, der auf Sonne Wonne reimte und auf Brust Lust, war ein Genie; der Tausendste ein Kretin.“ Arno Holz: „Phantasus“ (1898/99) Die Revolution der Lyrik Wie muss man vorgehen, um eine „Revolution der Lyrik“ zu erreichen, wie sie Arno Holz in der gleichnamigen Schrift fordert? Die Antwort von Holz: Man muss die bisherigen Formvorschriften der Lyrik, das heißt Reim, Strophe, Versmaß, abschaffen. Wozu noch der Reim? Der Erste, der – vor Jahrhun- derten! – auf Sonne Wonne reimte, auf Herz Schmerz und auf Brust Lust, war ein Genie; der Tau- sendste, vorausgesetzt, dass ihn diese Folge nicht bereits genierte, ein Kretin. Brauche ich denselben Reim, den vor mir schon ein anderer gebraucht hat, so streife ich in neun Fällen von zehn denselben Gedanken. […] Und man soll mir die Reime nennen, die in unserer Sprache noch nicht gebraucht sind! […] Es gehört wirklich kaum „Übung“ dazu: hört man heute ein erstes Reimwort, so weiß man in den weitaus meisten Fällen mit tödlicher Sicherheit auch bereits das zweite. […] 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 2 4 6 8 10 12 AUFGABEN > Refrain, Wiederholungen, Antithesen, Kontraste sind die wichtigsten Stilmittel in Heines Gedicht. Markieren Sie diese im Text! > Erscheinen Ihnen die fluchenden Weber als bemitleidenswerte Individuen oder als handlungsbereite Leute? > Welches Weberlied (Heine – Hauptmann) ist stilistisch „anspruchsvoller“, welches im Inhalt resignativer? Nur zu Prüfzwecken Eigentum des Verlags öbv

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