Literaturräume, Schulbuch
258 symbolIsmus, ImpressIonIsmus, fIn De sIècle, WIener moDerne > Suchen Sie Redewendungen für missvergnügte, verdutzte, einfältige ratlose Gesichter, wie z. B. „ein Gesicht machen wie sieben Tage Regenwetter“; verwenden Sie eventuell ein Sprichwörterlexikon! > Die von Malte geschilderte alte Frau verliert buchstäblich ihr Gesicht. Was bedeutet umgangssprachlich die Metapher „sein Gesicht verlieren/sein Gesicht wahren“? > Welche Gesichter können Sie im Laufe des Tages an sich beobachten? 4 „Meine kleinen Sachen Dichtungen?! Keineswegs.“ Peter Altenberg: „Die Abrechnung“ und „Das Hotel-Stubenmädchen“ (1912) Texte als Extrakte Sind die Taschen seines Mantels mit seinen schnell hingeschriebenen Prosaskizzen gefüllt, schickt Peter Altenberg sie an seinen Verleger Fi scher in Berlin, einen für die Wiener Moderne besonders bedeutenden Verlag. So spontan entstehen alle Bücher Altenbergs. Schon die Titel zei gen ihren Charakter: „Wie ich es sehe“, „Was der Tag mir zuträgt“, „Bilder bögen des kleinen Lebens“. Sie enthalten kleine, höchstens zweiseitige impressionistische, Augenblicke und Stimmungen einfangende Texte. Nicht als „Dichtungen“ versteht Altenberg das, was er schreibt, sondern als „Extrakte des Lebens. Das Leben der Seele und des zufälligen Tages, in 2–3 Seiten eingedampft.“ Auf zwei, drei Seiten, meint Altenberg, könne man jedenfalls dasselbe sagen wie in einem dicken Roman. Zwei Texte sollen davon eine Probe geben. einfache Leute; sie wechseln es nicht, sie lassen es nicht einmal reinigen. Es sei gut genug, behaupten sie, und wer kann ihnen das Gegenteil nachweisen? Nun fragt es sich freilich, da sie mehrere Gesichter haben, was tun sie mit den andern? Sie heben sie auf. Ihre Kinder sollen sie tragen. Aber es kommt auch vor, dass ihre Hunde damit ausgehen. Weshalb auch nicht? Gesicht ist Gesicht. Andere Leute setzen unheimlich schnell ihre Gesichter auf, eins nach dem andern, und tragen sie ab. Es scheint ihnen zuerst, sie hätten für immer, aber sie sind kaum vierzig; da ist schon das letzte. Das hat natürlich seine Tragik. Sie sind nicht gewohnt, Gesichter zu schonen, ihr letztes ist in acht Tagen durch, hat Löcher, ist an vielen Stellen dünn wie Papier, und da kommt dann nach und nach die Unterlage heraus, das Nichtgesicht, und sie gehen damit herum. Aber die Frau, die Frau: sie war ganz in sich hineingefal- len, vornüber in ihre Hände. Es war an der Ecke rue Notre-Dame-des-Champs. Ich fing an, leise zu gehen, sowie ich sie gesehen hatte. Wenn arme Leute nachdenken, soll man sie nicht stören. […] Die Straße war zu leer, ihre Leere langweilte sich und zog mir den Schritt unter den Füßen weg und klappte mit ihm herum, drüben und da, wie mit einem Holzschuh. Die Frau erschrak und hob sich aus sich ab, zu schnell, zu heftig, so dass das Gesicht in den zwei Händen blieb. Ich konnte es darin liegen sehen, seine hohle Form. Es kostete mich unbeschreibliche Anstrengung, bei diesen Händen zu bleiben und nicht zu schauen, was sich aus ihnen abgerissen hatte. Mir graute, ein Gesicht von innen zu sehen, aber ich fürchtete mich doch noch viel mehr vor dem bloßen wunden Kopf ohne Gesicht. Peter Altenberg AUFGABEN 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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