Literaturräume, Schulbuch

100 Jahren märchenhaft verklären lässt. Filme wie die „Sissi“Trilogie mit Romy Schneider um das Leben und Lieben der österreichischen Kaiserin Elisabeth sind Kassenschlager. Um die österreichische Heimat geht es auch in Hans Leberts „Wolfshaut“. Doch idyllisch ist in diesem Roman nichts. Die Zeit des Geschehens: ein regnerischer, windiger, unwirtlicher Winter in einer „parteibraune[n] Landschaft“ mit einer Atmosphäre aus Regen, Lehm, Nebel und Jauche. Der Ort des Geschehens heißt bezeich­ nenderweise „Schweigen“, der Nachbarort ist „Kahldorf“. Das Denken dort ist dumpf, denn „die Worte der Herren vom Stammtisch haben Ge- wicht gleich jenen Hintern, unter denen sich die Bank biegt“ . Mysteriöse Todesfälle geschehen. Sie stehen in Zusammenhang mit der Ermordung von Zwangsarbeitern am Ende des Krieges. Nach und nach werden die damaligen Mörder ermordet. Bei seinem Erscheinen attestiert der öster­ reichische Romancier Heimito von Doderer Leberts Buch, dass es zu den „noch nicht zehn epischen Werken in deutscher Sprache gehört, die seit dem Kriege zählen“ . Dennoch hat „Die Wolfshaut“ keine Chancen auf dem Markt, die 3000 aufgelegten Exem­ plare verkaufen sich schleppend. Zu sehr ist die Öffentlichkeit auf die Verdrängung der Ereignisse während der NSHerrschaft bedacht. Und vor allem beruhen die vom Autor beschriebenen Verbrechen auf Tatsachen, näm­ lich der Ermordung von Fremdarbeitern und Juden durch NSLeute auf dem Präbichlpass in der Steiermark im Frühjahr 1945. Lebert sieht, wie Charaktereigenschaften, die sich der Nationalsozialismus zunutze gemacht hat, auch in der Zeit danach weiterleben, so zum Beispiel im Rädelsführer der Morde. Er trägt im Roman den spre­ chenden Namen Habergeier. 345 Der leseraum 1 Baumstrunk Hans Lebert Als er [= Habergeier] nun an jenem Nachmittag im Gerippe seines Baumes hockte (ein hässlicher Vogel, ein „Haber-Geier“), bewegungslos, als ob er schliefe, und dennoch mit wachsamen Blicken das Zwielicht durchforschend, den Nebel, der überall aufzusteigen begann, klatschte ihm unvermittelt ein Lachen ans Ohr, das helle Lachen einer Weiberkehle. Er führte das Glas an die Augen und spähte hindurch, suchte dies Gelächter auf der Lichtung, und bald darauf entdeckte er die beiden, die jenseits aus dem Wald getreten waren, „den Viehtreiber und das Wirts- mensch“, wie er sie nannte, wenn er manchmal mit sich selber sprach. Sie folgten dem schmalen Jägersteig, der das untere Ende des Schlages kreuzte; zwar mussten sie hintereinander marschieren, eben weil der Weg so schmal war, aber sie hielten sich doch an den Händen (wie es Liebenden geziemt); hohes, dürres Gras verhüllte ihren Schritt, als wateten sie durch ein fahles Gewässer, das bis an die Hüften reicht. Habergeier entschied, dieses Liebespaar habe hier gar nichts zu suchen. Und jetzt (verdammt und zugenäht!) verließen sie sogar den Steig und strebten einem Stubben 1 zu, welcher als halbwegs trockener Sitzplatz aus Unkraut und Unterholz ragte. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 „Herr Karl“: Auch er hat sich’s gerichtet INFO Er hat alle politischen Veränderungen gut überstanden, sieht sich stets als Opfer, nie als Täter, hat für alles eine Entschuldigung, heißt „Herr Karl“ und ist die Hauptper­ son von Helmut Qualtingers gleichnamigem EinPer­ sonenStück (1961). Das Stück war einer der ersten Literaturskandale der Zweiten Republik. Hier ein Auszug: „ Bis Vieradreißg war i Sozialist. Das war aa ka Beruf. Hat ma aa net davon leben können ... heit wann i war ... aber heit bin i darüber hinaus ... i hab eine gewisse Reife, wo mir de Dinge gegenüber abgeklärt sind. Na – im Vieradreißgerjahr ... wissen S’ eh, wia des war. Naa, Se wissen’s net. Se san ja z’ jung. Aber Se brauchen’s aa net wissen ... Das sind Dinge, da wolln ma net dran rührn, da erinnert man sich nicht gern daran ... niemand in Österreich. Später bin i demonstrieren gangen für die Schwarzen ... für die Heimwehr ... net? Hab i fünf Schilling kriagt ... Dann bin i ummi zum ... zu de Nazi ... da hab i aa fünf Schilling kriagt ... naja, Österreich war immer unpolitisch [...]. Und dann is eh der Hitler kommen. Naja – des war eine Begeisterung ... ein Jubel, wie man sie sich überhaupt nicht vorstellen kann – nach diesen furchtbaren Jahren ... Die traurigen Jahre ... Endlich amal hat der Wiener a Freid g’habt [...]. Naja, also mir san alle ... i waaß no ... am Ring und am Heldenplatz g’standen ... unübersehbar warn mir ... man hat gefühlt, ma is unter sich ... es war wia bein Heirigen ... es war wia a riesiger Heiriger ...! Aber feierlich.“ Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv

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