Literaturräume, Schulbuch
DIe gegenWartslIteratur – mIt österreIchschWerpunkt Sprachkritik, „Frauenliteratur“, Schockdramen, Österreichkritik; die Literatur der sprachlichen Minderheiten und der Immigranten Um 1968 Die Diskussion über die Aufgabe und Wirksamkeit der Literatur für die Gesell schaft und in der Gesellschaft spitzt sich zu; sogar Autoren plädieren für die „Abschaf fung“ der Literatur wegen „Wirkungslosigkeit“. Andere Autorinnen und Autoren wollen eine von allem vordergründig Politischen unabhängige Literatur. In der Folge dieser Diskussion zeigt sich die Dichtung bis heute als Mitund Gegeneinander unterschiedlichster Tendenzen. 363 Das funDament Auseinandersetzungen um die Funktion der Literatur „Lieber Steine statt Bücher“ Im Frühjahr und Sommer des Jahres 1968 ziehen in Frankreich und Deutschland zehntausende Studenten und Studentinnen auf die Straße. Ihre Proteste richten sich gegen die Aufrüstung, den Krieg in Vietnam, die Manipu lation durch die Medien, aber auch gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschecho slowakei. Radikales InFrageStellen der Gesellschaft lautet das Protestprogramm. Auch die Literatur ist davon nicht ausgenommen. Man brauche sie nicht mehr, denn Gesellschaftsveränderung soll sich in direkten Aktionen zeigen, nicht auf dem Umweg über Texte. Wenn Geschriebenes nützlich sein soll, dann höchstens in plakativen Formulierungen für Flugblätter, als griffige Reime für Sprechchöre oder zur direkten Dokumentierung tatsäch licher oder vermeintlicher gesellschaftlicher Missstände. Wie direkt sich die Forderung der Studenten/Studen tinnen auf die Literatur auswirkt, Gesellschaftsveränderung aktiv zu praktizieren und nicht über den Umweg des Schreibens, zeigt sich am Beispiel des damals sehr bekannten Autors Peter Schneider: „Holen wir die geschrie- benen Träume von den brechenden Bücherborden der Bibliotheken herunter und drücken wir ihnen einen Stein in die Hand.“ Studenten/Studentinnen drücken ihre Verachtung von Literatur und Literaturwissenschaft aus, indem sie Parolen wie die folgende an die Universitätswände sprühen: „Schlagt die blaue Blume tot, färbt die Germanistik rot!“ „Wir schreiben weiter“ Auch weniger radikale Autoren sehen die schwierige Situation der Literatur. In seinem Aufsatz „Gemeinplätze, die Neueste Literatur betreffend“ nimmt Hans Magnus Enzensberger zur Rolle der Literatur Stellung. Ihre Wirksam keit sei verpufft. Die „politische Harmlosigkeit aller literarischen, ja aller künstlerischen Erzeugnisse“ liege zutage. Enzensberger warnt aber vor dem „revolutionären Gefuchtel“ , das die Literatur liquidieren möchte. Er empfiehlt den Studenten, nicht gegen die Romane und Gedichte loszuziehen, sondern gegen die mächtigen kulturellen, medialen und politischen Institutionen. Den Autoren schlägt er Folgendes vor: Zur „Alphabetisierung“ der politischen Analphabeten empfiehlt Enzensberger, zum Beispiel Reportagen, Kolum nen, Berichte zu schreiben. Aber weitergeschrieben müsse auf alle Fälle werden. Für Schriftsteller, die sich mit ihrer Harmlosigkeit nicht abfinden können, […] habe ich nur beschei- dene, ja geradezu dürftige Vorschläge zu machen. Vor allem schlüge uns vermutlich zum Vorteil aus, was offenbar am schwersten fällt: eine angemessene Einschätzung unserer eigenen Bedeutung. […] So schwer sollte es in einer Gesellschaft, in der das politische Analphabetentum Triumphe feiert, doch nicht sein, für Leute, die lesen und schreiben können, begrenzte, aber nutzbringende Beschäfti- gungen zu finden. 2 4 6 8 10 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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