Literaturräume, Schulbuch

370 DIe gegenWartslIteratur – mIt österreIchschWerpunkt verbrauchbare Rohstoffe: „human ressources“ . Das Theaterstück „Die Kontrakte des Kaufmanns“ (2008) von Elfriede Jelinek führt die Gier nach Geld vor: die Gier der Aktienverkäufer nach maximalem Gewinn und die Gier der Aktienkäufer nach endlos wachsender Rendite. Natürlich sind die kleinen, naiven Anleger die Verratenen: „Ihr Kapital haben wir verfeuert. Es war sehr klein. Es hat nicht lang gebrannt“ , so lautet die Auskunft an die Klein­ anleger. Auch eine scheinbar tröstliche Botschaft kommt gleich hinterher: „Ihr Kapital lebt noch!“ Es macht gera­ de Inselurlaub und es geht ihm prächtig. Aber zurück zu den Anlegern möchte es leider nicht mehr, das müssten die Leute verstehen. In dem 2009 erschienenen Erzählband „Macht euch keine Sorgen“ von Lydia Mischkulnig (*1963) präsentiert sich „Die Firma“ als Menschen und besonders Frauen verschlingendes Ungeheuer (13) . Die 2010 unter dem Titel „Leichten Herzens“ (14) publizierten Texte von Barbara Aschenwald (*1982) zeigen, wie geschickt ein zerstörerisches System von Macht und Geld agiert: „Den Menschen die Luft zum Atmen nehmen und sie ihnen dann verkaufen, weil immerhin müssen sie atmen. Den Menschen einen Mangel schaffen und ein Be- wusstsein dafür und sie dann von diesem Mangel erlösen.“ Wohin der Druck führt, stets erfolgreicher als die ande­ ren zu sein und die Mitmenschen als Konkurrenten zu sehen, zeigt der 2008 publizierte Roman „Kollateral- schaden“ (15) von Olga Flor (*1968). In einem Supermarkt kreuzen sich zufällig die Wege eines Jugendlichen, einer populistischen Politikerin, eines Journalisten und eines Rentners. Dann fließt Blut. Die Lyrik: verdichtete Erfahrungen „ Totale “ Gedichte und das alltägliche Leben Ein großer Name der österreichischen Lyrik ist Friederike Mayröcker (*1924). Ihre ersten, wenig wahrgenom­ menen Veröffentlichungen stammen aus dem Jahr 1945. Heute ist die Autorin mit ihren Prosastücken, Hörspie­ len und vor allen ihrer Lyrik eine Klassikerin der modernen österreichischen Literatur. Ihre Gedichte möchte sie als „totale“ und „freie“ Gedichte sehen. Sie sollen Ausschnitte aus der Vielschichtigkeit und Gleichzeitigkeit un­ serer Wahrnehmungen darstellen: Riechen, Hören, Sehen, Schmecken, Tasten. Als Beispiele für Mayröckers Lyrik finden Sie die Gedichte „sehnsüchtiger frühling“ und „Zeppelin oder Tropfen solch Formgeschöpf“ (16) . Erfah­ rungen des Alltags, das Leben in der Stadt, Erinnerungen an die Vergangenheit, körperliche Freuden und Be­ schwerden prägen auch die in Umgangssprache gehaltenen Gedichte von Elfriede Gerstl (1932–2009), wie dies der Band „alle tage gedichte“ (17) zeigt. Auch die Gedichte von Heidi Pataki (1940–2006) befassen sich in teils krassen Metaphern mit den Problemen des täglichen Lebens, zum Beispiel in „Amor und Amok“ (1999): „erwa- chen in der nacht, weil durchzugsstraßen sind so laut / quietsch-zischend so die LKWs, schon doppelreifen anmon- tiert / bald wird es schnein, dann hört sich's an // als rollten sie über zerquetschtes kinderfleisch, so weich & dumpf.“ Einen kritischen Blick hinter die Fassaden des Alltags wirft auch Bettina Balàka (*1966). So heißt es zum Beispiel in ihrem Band „Schaumschluchten“ (2009) über die „werdenden Väter“: „ [Sie] brüten über Geldscheinen / kaufen sich neue Stereoanlagen / um sie zu bemuttern // sie betrinken sich abends / um am Morgen / übel zu kotzen //.“ Auch die Zombies der Schönheitsindustrie werden vorgeführt: „Und die Mädchen tragen rote Lack-Overalls / und blonde Perücken / und unter der dunklen Brille / sind die Katzenaugen / frisch operiert […] und die Frau / hinter dem weiß-goldenen Ladentisch / kennt ihre Narben, Einstiche, Stürze / sie hilft bei der Verkleidung/ und schweigt.“ Dokumentarische Erzählungen und „historische“ Romane Schicksale einst und jetzt Die meisten Bücher von Erich Hackl (*1954) sind dokumentarische Berichte. Gemeinsam ist ihnen das Aufspü­ ren der Schicksale von Unterdrückten und Ausgelieferten. So berichtet Hackl in „Abschied von Sidonie“ über die Vernichtung eines RomaMädchens aus Steyr durch die NSDiktatur. „Sara und Simón“ und „Als ob ein Engel“ erinnern an die Verschleppung und Ermordung lateinamerikanischer Regimegegner/innen in den 1970erJahren. In die österreichische Gegenwartsgesellschaft, in der nach wie vor neu aufgegriffene alte Vorurteile manche AUFGABE > Informieren Sie sich in Gruppen über eines der oben erwähnten Werke der „Frauenliteratur“, präsentieren Sie Ihre Informationen in einem Referat! Beachten Sie auch die Anregungen im Projekt „Schule und Familie als Thema der zeitgenössischen österreichischen Literatur“ – Seite 429! Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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