Literaturräume, Schulbuch
378 DIe gegenWartslIteratur – mIt österreIchschWerpunkt 4 „Schwer aushaltbar sind Schwabs Texte allemal!“ Werner Schwab: „Volksvernichtung. Eine Radikalkomödie“ (1991) Fäkaliendramen Für die 1991 erschienene erste Sammlung seiner Dramen wählt Werner Schwab eine ungewöhnliche Bezeichnung: „Fäkaliendramen“. Die han delnden Personen sind Kleinbürger, die sich selbst und den anderen das Leben zur Hölle machen: Mord, Vergiftung, Unterdrückung jeder Indivi dualität, sexuelle Ausbeutung, Alkoholismus bestimmen die immer in der Katastrophe endende Handlung. „Schwer aushaltbar sind Schwabs Texte allemal“ , schrieb die renommierte Literaturzeitschrift „Theater heu te“ beim Erscheinen des Bandes. Und ein Kritiker des deutschen Wo chenblattes „Die Zeit“ legte nach: „Schwab, das Genie, das Monster, das Ekel.“ Die Volksvernichtung In „Volksvernichtung“ lässt Schwab eine Hausgemeinschaft aufeinander losgehen: Frau Wurm, eine „ausgemergel- te Pensionistin“ , mit ihrem dreißigjährigen Sohn Herrmann, der gerne Maler werden möchte: „Klumpfuß, grotesk und verloren wirkend, mehr ist dazu nicht zu sagen.“ Weitere Hausbewohner: die Familie Kovacic, Mutter, Vater und die zwei Töchter Désirée und Bianca, „eher ordinär aufgedonnert“ , und die vornehme Professorenwitwe Frau Grollfeuer, „einerseits rührend […] und andererseits extrem arrogant“ . Das Mietshaus wird zur Hölle, jeder keift über jeden, fast jeder grapscht nach jedem, insbesondere Vater Kovacic nach seinen Töchtern. Den finalen Hö hepunkt des Grauses aber inszeniert Frau Grollfeuer. Von Fall zu Fall, so meint sie, sollte man nämlich die ande ren, die einen nerven, die „Untermenschen“ , wie sie sagt, einfach „ein bisschen“ vernichten. Und so vergiftet sie bei ihrer Geburtstagsfeier die ungeliebten Mitbewohner. Aber auch sie selbst trinkt den tödlichen Cognac. Das Schwabische Doch nicht in erster Linie die zwischen Komödie und Tragödie schwankende Handlung der Dramen faszinierte Kritik und Publikum. Die Bedeutung Schwabs, der in den 90erJahren der meistgespielte deutschsprachige Dra matiker der jüngeren Generation war und in ganz Europa mit Auftragswerken bedacht wurde, liegt in der Spra che seiner Theaterstücke, die bald als „Schwabisch“ bezeichnet wurde. Die Sprache, die Schwab seinen Personen verordnet, ist deformiert und zerstört, genauso wie ihre Sprecher. „Leibeigene ihrer Sprache“ nennt ein Kritiker Schwabs Figuren, „die von sich selbst wie von Fremdkörpern sprechen“ . Schwabs Sprache zeigt folgende Eigen heiten: – komplexe Satzkonstruktionen, die im Widerspruch zu den primitivtriebhaften Inhalten der Sätze stehen, – das häufige Sprechen von sich selbst in der dritten Person, – übertreibende Metaphern, – die Vermischung und Kreuzung von Wörtern miteinander, – Wortungetüme, – dem Amtsdeutsch nachgestellte Verkomplizierungen, – Entstellungen der Grammatik, ausufernder Gebrauch von Hilfsund Modalverben, – die Mischung von „hohen“ Wörtern aus dem Bildungsjargon mit Vokabeln aus der Fäkalund Pornographie sprache. Werner Schwab AUFGABE > Lesen Sie die folgenden Ausschnitte aus „Volksvernichtung“ und markieren Sie im Text einige der angeführten typischen Kennzeichen von Schwabs Sprache. Am besten arbeiten Sie in Gruppen, die jeweils einen Abschnitt analysieren. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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