Literaturräume, Schulbuch
379 der leseraum 1 Frau Wurm hält nichts von Herrmanns Malversuchen, sie möchte ihn lieber als Küchenhilfe bei sich behalten. Im Lauf der Diskussion lässt Herrmann einen Teller fallen. Der Teller zerbricht. Herrmann: Aber was … immer stürzen aus deinen Innereien solche gemeinen Fragen hervor, immer würgst du meine sprechende Kunst so lange, bis sie keine Luft mehr bekommen kann. Kaum erheben sich die meinigen Gedanken wie die schönen schwarzweißen Pinguine in die Lüfte hinauf, da reißt du meiner ganzen Kunst den Bauch auseinander wie den ausgekochten Suppenhendln an einem jeden schwarzen Sonntag. Frau Wurm: Du wirst noch einmal eine sehr große Sehnsucht haben müssen nach meinen Hühnern in ihrer Sonntagssuppe. Du wirst noch einmal ein jedes Hendl in einer Hendlgeschäftsauslage mit einer großen Leidenschaft betrachten müssen, wenn ich als deine Mutter gestorben sein werde. Alle Sonntage werden dir meine Suppenhühner vorenthalten, und die fortgelaufenen Hühner werden dir dein Leben vorenthalten, weil dein schlechtes Leben mich ins Grab gebracht haben wird. Wenn ich einmal tot sein werde, Herrmann, dann wirst du ein qualvolles Ende auf dich nehmen müssen wie einen schwierigen Auftrag. […] Von dem Teller, den du jetzt veruntreut hast, hat mein Vater sein letztes Grieskoch herausgeges- sen unter seinem Krebs. In diesem Teller hat sich das letzte Grieskoch aufgehalten, das mein Vater hat festhalten können, bevor der Krebs ihn zu seinem Herrgott hinaufgestorben hat. Über fünfzig Jahre hat der Teller einen normalen Verkehr gehabt auf der Welt. Jahraus, jahrein hat man sein rechtschaffen an den Körper heranver- dientes Essen aus dem Teller herausgegessen, und eine jede gute Frau des Hauses hat den Teller mit einem Respekt vor dem Leben und seiner Ernährung abgewaschen und trockengelegt. (schreit) Und fünfzig Jahre nach der Entstehung eines Tellers kommt ein böser Krüppel an den Teller heran und zerstört ihm seine fünfzig Jahre. Aber von meinem Menschen hat man ja schon immer alles Schöne fernhalten können. Das war der einzige dreifarbene Teller in meinem Besitz … rote Blumen, blaue Blumen und lauter grüne Stängel. Ich muss von einem jeden Kilo Strafe, das über der Welt verteilt wird, ein dreiviertel Kilo auf meinen Buckel hinaufnehmen. 2 Herr Kovacic regt sich über die laute Diskus- sion zwischen Frau Wurm und Herrmann auf. Herr Kovacic: Was ist das denn für eine Einbil- dung, die Sie da haben, dass das womöglich überhaupt nichts ausmacht, wenn Sie so ein lautes Leben führen. Sind Sie denn von der ganzen normalen Gesundheit verlassen, dass Sie gar nicht merken können, dass die Welt noch voll ist mit anderen Menschen, dass oberhalb und unterhalb und links und rechts haufenweise anständige Leben vorgeführt werden. Meine Frau hat sich beim Bügeln einen Finger angebrannt, und meine Tochter ist unter dem Lärm so lästig geworden, dass ich ihr habe eine Ohrfeige hineinhauen müssen. Sogar der Goldhamster ist aufgewacht. 3 Frau Kovacic gibt Frau Wurm Ratschläge für die Behandlung Herrmanns. Frau Kovacic: Am meisten täte sich Ihr angeschla- genes Kind nämlich freilich in einer geschulten Gesundheitsanstalt herausleben können, liebe Frau Wurm. Das täte Ihr schweres Leben erleich- tern, und das leichte luftige Leben könnte man dann vielleicht in einem hellen luftigen Alters- heim fertiggenießen, bis es alle schädlichen Lebensteile vergessen hat, liebe Frau Wurm. Und die Wohnung, die täten wir Ihnen abnehmen, das wäre keine Umständlichkeit für uns und unsere Familie. 4 Frau Grollfeuer erklärt den eingeladenen Familien Wurm und Kovacic, dass sie von ihr vergiftet worden sind. Frau Grollfeuer: Sie beweisen mithin immer neuerdings meine Einladungsidee, meine Herrschaften … haben Sie gehört? … Herr- schaften. Heute, an meinem Geburtstag, sind Ihre Häute herrschaftliche Felle, letzte Haut. Sie werden bei mir sterben, wissen Sie … Frau Wurm: Alle Menschen müssen geradlinig sterben, das ist der Gottesplan. Frau Grollfeuer: Aber jetzt bin ich zu einer Gottheit entschlossen, Frau Wurm. Haben Sie noch keine Schmerzen in Ihrer lächerlichen Leiblichkeit? Frau Wurm: Ich habe immer schmerzhafte Sorgen über meinen Herrmann, da fallen Außen- schmerzen nicht so auf … warum? Desiree: Mir ist ja eigentlich grauenhaft schlecht geworden. Bianca: So schlecht war meinem Bauch überhaupt noch nie, obwohl er vielleicht schwanger ist, der 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv
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