Literaturräume, Schulbuch
390 DIe gegenWartslIteratur – mIt österreIchschWerpunkt Kapitel eins: Jessica läuft, denn Laufen macht schön Jessica Somner, so heißt sie mit vollem Namen, läuft. Tatsächlich ist es von dem LifestyleMagazin, in dem sie arbeitet, nicht weit zur „Bravo“Kolumne des Dr. Sommer mit ihren banalen Antworten auf die „Sexualpro bleme“ Jugendlicher. Erfolgversprechender als kritischer Journalismus scheinen auch ihr Sexratgeber, wie einer, „den die Schauspielerin von ‚Sex and the City‘ mit ihrem Mann geschrieben hat“ , und Informationen über Schön heitschirurgie, denn die „Generation der Brigitte-Leser, die reden jetzt über Menopause und das widert die Jüngeren an und die […] reden jetzt über Schönheitsoperationen, obwohl, hier sind sie erst beim Busen“ . Doch beim ge wohnten Laufen pendelt Jessica nicht nur zwischen Prater und ihrem Auto hin und her, sondern auch zwischen den Versuchen zur Selbstbestimmung und dem Anpassungsdruck an die Gesellschaft. In „Jessica, 30.“ geht es um ein Kernthema von Marlene Streeruwitz: Ist es möglich, als Frau ein eigenes Leben zu führen, oder muss man sich den Wünschen der anderen unterwerfen? Alles wird gut, ich muss nur die Praterhauptallee hinauf- und hinunterrennen und dann ist wieder alles gut, dann kann ich das Schokoeis von heute Nacht und das Essen von Weihnachten vergessen […] und warum ist es nicht schon eine Stunde später und jetzt geh endlich, zieh den Mantel aus und steig aus dem Auto, Jessica Somner, reiß dich zusammen, du hättest ja das Eis nicht essen müssen, Issi, heute Nacht, und was für eine Idee, dieses Schokoeis und dann noch eine ganze Packung Mövenpick Maple Walnut und wenn die Dose Schlagobers nicht ausgegangen wäre, hätte ich die auch ganz gegessen und hast du das notwendig, ich meine, es ist gerade nicht alles so toll, aber deswegen gleich in die Fettsucht, der Ausgleich für mangelnde Sexualität kann es nicht sein […] […] ich gehe erst um 9 Uhr aus, da kann man immer sagen, dass man schon gegessen hat, aber dann landen wir im Engländer und ich esse doch wieder ein Schnitzel, ich darf den Tag über nichts essen für meine Diätsünden in der Nacht, und wie sie einem zureden, etwas zu essen, die, die nur dünne Frauen wollen, die sagen dann immer, man soll doch etwas Ordentliches essen, ganz eindringlich sagen sie das, der Kurt hat die Catrina verlassen, weil sie ihm zu dick geworden ist, sagt sie, und er sagt immer, dass er Frauen nicht mag, die nichts essen, am besten wäre es, man würde immer nur essen, wenn andere da sind, ich esse ja erst, seit ich allein in der Woh- nung sitze, ohne Kontrolle, ich muss niemandem sagen, dass ich jetzt etwas esse und warum […] […] und wo ist die Kleiderbürste, warum sind diese Flankerln auf der Jacke, wie kommen diese, ja, das ist vom weißen Angorapullover, das muss vom weißen Angorapullover kommen, die Flankerln bleiben im Mantel innen hängen und dann auf der Jacke, die kannst du nicht anziehen, doch den Rock und die lila Strümpfe und jetzt wird es richtig eng, oder die pink, die gehen beide, pink, und da komme ich gerade pünktlich hin, da gehe ich erst nachher zur Tanja, und beeil dich, da müssen die Augen noch betont werden, da reicht das nicht, und dann die Jacke, sonst kommen auf den Pullover auch die Angorafluseln, weil ich die Angorapullover nicht ins Tiefkühlfach lege, weil ich da Maple Walnut und Baccio liegen habe, weil ich da meine Sünden aufbewahren muss, weil da Großpackungen Viennet- ta und Cremissimo liegen müssen, da sollten die Angorapullover liegen und dann gäbe es keine Fressorgien in der Nacht und keine Figurängste, ich hätte mich nicht angezogen, heute Nacht, und wäre zu einer Tankstelle gefahren, oder zum Bahnhof und hätte eingekauft, und dann wäre ich schon auf dem Weg, aber ich kann ja mit dem Auto fahren, das geht sich alles aus, und es schaut lustiger aus, und sogar erwachsener, irgendwie schaut es so nach großer Schwester aus, nette große Schwester von einem besonders süßen kleinen Mädchen in Oilily, […] das ist ohnehin besser, „Das sind mehr Sie“, wie die Modeberaterin sagt, so, das passt, und dann nehme ich noch die rosa karierte von Yamamoto, die hat die Mama richtig cool ausgesucht, […] und übermorgen sollte ich wieder laufen gehen, so wie das heute 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 AUFGABEN > Lesen Sie dazu die folgenden Stellen aus Jessicas Monolog während des Laufens, der Rückkehr in die Wohnung und ihrer Vorbereitung auf eine Redaktionssitzung! > Welchen Rollenanforderungen, welche die Gesellschaft an eine „erfolgreiche“ Frau stellt, muss Jessica gerecht werden? Welche persönlichen Wünsche muss sie diesen Anforderungen unterordnen? > An welchen Stellen wird der Konkurrenzdruck, dem die Frauen ausgesetzt sind, besonders deutlich? Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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