Literaturräume, Schulbuch

392 DIe gegenWartslIteratur – mIt österreIchschWerpunkt 12 „Da war es auch bald vorbei mit der Liebe.“ Gabriele Kögl: „Mutterseele“ (2005) Enttäuschungen Sie, Bäuerin aus der steirischen Provinz, ist aus ihrem Geburtsort kaum herausgekommen. Eigentlich wollte sie das auch gar nicht, obwohl sie als junge Frau mit unehelichem Sohn dort kein leichtes Leben hatte. Sie durfte nicht zu ihrem Kind stehen und den Vater des Kindes nicht heiraten. Die Familie hatte Größeres mit ihr vor, sie musste einen anderen nehmen. Die Tochter ist Schauspielerin in Wien geworden, statt, wie die Mutter es gerne gehabt hätte, für ihren sozialen Aufstieg einen Tierarzt zu heiraten. Der uneheliche Sohn hat sich in Deutschland erschossen, nachdem sich seine zweite Ehefrau einen Neuen gesucht hatte. Über den ehelichen Sohn verliert die Mutter nur wenige Worte. Nun ist sie jedenfalls allein. Auch ihr Mann ist schon gestorben. Der hat sich ohnehin bald als Alkoholiker entpuppt und war ihr nie eine Stütze. Kögl gestaltet die Klage der Frau über das verlorene Leben als durchgehenden Monolog. 13 „Der Kampf gegen mich ist aussichtslos.“ Lydia Mischkulnig: „Macht euch keine Sorgen. Neun Heimsuchungen“ (2009) Der freundliche Beginn Neun Kurzgeschichten aus dem Alltag erzählt Lydia Mischkulnig in ihrem Band „Macht euch keine Sorgen. Neun Heimsuchungen “ . Jede dieser Erzählungen beginnt scheinbar harmlos, manchmal sogar idyllisch, so auch der Text „Die Firma“: „ Ich bin eine Firma – und, wie jeder sehen kann, erfolgreich. Ich bestehe aus drei Etagen zu je elf Zimmern mit je zwölf Arbeitsplätzen. […] Ich zahle gut.“ Das Ende mit Schrecken Doch was so idyllisch begonnen hat, mündet in absurden Schrecken, der sich zeigt, wenn „Die Firma“ zum Bei­ spiel die Anforderungen an ihre Arbeitskräfte so formuliert: Später ist es bald vorbei gewesen mit der Schönheit. Mein Mann hat gefressen wie ein Drescher, Fleisch, jeden Tag hat es Fleisch sein müssen, und wenn ich freitags kein Fleisch gekocht habe, ist er ins Wirts- haus gegangen und hat dort sein Saftfleisch gegessen. Dann ist er heimgekommen, und es hat ihn gewürgt und gereckt, weil er soviel gegessen hat, und auf den Boden hat er sich gelegt, und gerollt hat er sich vor Schmerzen, und irgendwie war das kein schöner Anblick, wenn sich der Mann auf dem Boden gerollt hat und geschrien hat vor Schmerzen, wie eine Sau, die man absticht. Da war es auch bald vorbei mit der Liebe, das geht schnell, wenn man nicht aufpasst mit der Fresserei und wenn man sich auch noch ducken muss vor dem eigenen Vater. Die Kinder haben genug Arbeit gemacht, und die Wirtschaft auch, da ist keine Zeit übrig geblieben für ein Vergnügen, das es nicht mehr war, mit der dicken Wampe, die mein Mann bekommen hat, und ich habe auch nicht mehr so auf mein Äußeres geschaut, weil es keine Rolle mehr gespielt hat, wie man ausschaut, wenn man einmal unter der Haube war und die Haare sowieso immer verdrückt waren vom Kopftuch im Stall, und die Kinder waren da, und das Leben, damit es weitergeht, irgendwie aber nicht zum Vergnügen. Für uns war es nicht vorgesehen, ein gutes Leben zu haben, da hat es andere gegeben dafür, die sich einfach genommen haben, was sie wollten, und dann hat man gesagt, wie schlechte Menschen das doch wären, und ich habe mir gedacht, wenn ich so leben könnte, dass einer kommen würde und mich herausholen würde aus diesem Schinderleben, ich würde die Schande gern auf mich nehmen und alles verlassen für das schöne Haus und für den Mann, der mir einen Pelzmantel zahlen kann. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 AUFGABEN > Worauf konzentrieren sich die Wünsche der Frau? Wie beurteilt sie die Sexualität? > Welche leitmotivisch wiederholten Nomen beschreiben die animalische Natur des Ehemannes? Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=