Literaturräume, Schulbuch

393 Der leseraum 14 „Kraftvoll zugebissen“ Barbara Aschenwald: „Leichten Herzens“ (2010) Der Appell, durchzuschauen und zu durchschauen Aus kleinen Erzählungen, Kommentaren und Aphorismen in betont einfacher Sprache setzt sich der Band „Leichten Herzens“ zusammen. Gemeinsam ist allen diesen Texten der Appell, die Manipulationen, denen die Menschen ausgesetzt sind, zu durchschauen und den derzeitigen Zustand der Welt nicht reaktionslos hinzuneh­ men. Es sind, wie ein Rezensent meint, Texte, die „kraftvoll zubeißen“ . Ich neige wieder mehr dazu, Männer einzustellen, da Frauen häufiger ausfallen. Kaum eingestellt und ausgebildet, melden sie eine Schwangerschaft und man kann sich neu umsehen. […] Leider bringt Zwang keine Lösung. Bei den Frauen kann man das seit Jahrtausenden erkennen. Sie erziehen die Kinder immer schlechter. Heute ernähren sie sie auch immer schlechter. Immer fettere Gestalten wollen bei mir anheuern. Mich ekelt vor dem Fett, das die faule Haut ausdehnt, vor den Frauen, die sie mit dem eingespeichelten Trostfood ausstopfen und mich bevöllern. […] Ich stelle die Fettsäcke nicht gern an. […] Am Eingang der Firma habe ich eine Waage aufgestellt. Über diese Waage geht jeder sich als arbeitswillig bezeichnende Vorstellige. Die Waage ist im Boden versteckt eingelassen und ich kann das Gewicht auf meinem Computer ablesen. Meiner Erfahrung nach ergeben zehn Prozent über dem Idealgewicht eines Körpers den Idealkörper für meine Firma. Diese Körper sind selten dick, aber auch nicht schlank. Die Wohlstandsträgheit hat bei ihnen noch nicht angefangen. Wöchentlich kontrolliere ich auch das Gewicht der Angestellten, wenn sie die Firma verlassen, und errechne mir so die Fress- und Disziplinleistung aus der Differenz zwischen Montag und Dienstag. Freilich werden auch die Entleerungs- zeiten bzw. -gewichte geschätzt und einkalkuliert. Wer zu viel drauf hat, wird zu einem Gespräch geladen. Wer zu wenig drauf hat ebenfalls. Dann versuche ich ins Gewissen zu reden, […] was selbst dürre Gestalten, die nichts von sich hergeben und nichts annehmen wollen, alles für sich behalten und nichts austauschen, erweichen und ein paar Kilo- gramm Fett zulegen und sich bei Rollenspielen in Seminaren selbst entblößen lässt. […] Der Kampf gegen mich ist aussichtslos, im Gegen- satz zu meinen Angestellten […] bin ich als juris- tische Person unsterblich. Man kann mich zerschla- gen, zersetzen, auflösen und verklagen, aber man kann mich nicht einsperren, denn ich besitze keinen Leib, berge aber etagenweise Angestellte, die einen Leib besitzen, der in meinen Diensten steht. Um mich mache ich mir keine Sorgen, ich verschwinde und formiere mich neu, wo und wann ich will. Aber die Angestellten mit ihrem fixen Leib sind an Ort und Zeit gebunden und werken mit diesen Koordi- naten herum, im Hier und im Jetzt. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 2 4 6 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 Wie kann man auch in der Zeit der Krise den Leuten etwas verkaufen?, fragen die Unternehmen, weil wir müssen die Krise überstehen und unsere Angestellten bezahlen. Es kommen die Unterneh- mensberater, sie sagen, wir wissen, wie das geht. Die Sachen, die wir verkaufen wollen, dürfen nicht nur Sachen sein. Sie müssen ein Gefühl sein. Und Ihre Mitarbeiter müssen dem Kunden suggerieren: „ Wir haben dich lieb. “ Das Mein von Meinung bleibt nicht da. Als sie einmal am Weg heim war, kam ein Fuchs über die Straße und war tot, weil sie drübergefahren 8 10 12 AUFGABEN > Was „stört“ die Firma an den Frauen, was wird ihnen vorgeworfen? Erklären Sie die Begriffe „Trostfood“ und „bevöllern“! > Welche Kontrollen führt die Firma durch? > Klären Sie den Begriff „juristische Person“! Welcher Unterschied zwischen dem Personal und der Firma begründet die Macht der Firma? > Schreiben Sie in der Rolle einer ehemaligen Arbeitskraft an die Firma einen „Offenen Brief“ (ca. 150–200 Wörter)! Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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