Literaturräume, Schulbuch

401 der leseraum Hanno Salzmann Hanno, Sohn dieses „zweiten“ Hugo und Julianas Enkel, wächst in der Steiermark auf. Er ist froh über seinen Job bei der Krankenkasse in Graz, war er doch bei seiner früheren Arbeitsstelle, einem Baumarkt, als „Buchenwald- Bubi“ verhöhnt worden, als er über seine Großmutter und deren Tod gesprochen hatte. Auch seinem Freund Koraus hatte Hanno von seiner Oma erzählt. Er rechnete nicht mit dem Mitteilungsbedürfnis seines Freundes Jochen Koraus […]. Koraus, der in einer Konsumfiliale die Einkaufswagen zusammen- geschoben hatte, bevor er in der Krankenkasse untergekommen war, wofür er sich vermutlich erkenntlich zeigen wollte, sowohl durch Unterwür- figkeit dem Abteilungsleiter gegenüber als auch durch Hinterbringen wissenswerter Details aus Hannos Familiengeschichte. Eine KZlerin zur Großmutter. Dazu der behinderte Bruder. Der Vatername. Aus diesen Elementen speiste sich Hannos Alptraum, der fast vier Jahre währte. In ihm erschien als erster Radinger, als zweiter Scheffler, als dritter Prammer, als vierte Kudlich. Zwischendurch Gruppenleiter Kropf, und natürlich Abteilungsleiter Gruber. Hermann Gruber, reizbares Schwergewicht, vor dem alle Schiß hatten, dem sogar der General- direktor aus dem Weg ging. Später kamen andere hinzu, ein stellvertretender Gruppenleiter namens Thaler, der Leiter der Personalabteilung Polanc. 2 4 6 8 10 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 12 14 16 18 Die erste Etappe des Unglücks Franz Radinger ließ nur wenige Tage verstreichen, ehe er sich vor Hannos Schreibtisch aufbaute: Salzmann, das ist ja ein jüdischer Name! Hanno, überrascht, wußte zunächst nicht, wie er darauf reagieren sollte. Er machte schweigend weiter […] oder er zuckte die Achseln und sagte, über seinen Namen habe er sich noch nie den Kopf zerbrochen. […] Überliefert jedoch ist, daß [Radinger] sich von Hannos Zurückhaltung nicht beirren ließ. Daß er immer wieder auf den Namen Salzmann zu sprechen kam, nicht glauben wollte, daß der andere kein Jude sei […]. So ging das über Wochen, Monate. Es half nichts, daß Hanno sich schon nach der zweiten oder dritten Attacke bei ihrem Gruppenleiter beschwert hatte; Kropf schickte ihn mit Radinger zum Abtei- lungsleiter, der im Beschwerdeführer Hanno den eigentlichen Unruhestifter erkennen wollte. Wenn keine Ruhe ist, sagte er zu Hanno, dann fliegen Sie. Radinger indes durfte weitermachen. Die letzte Etappe des Unglücks Viele Mobbingversuche folgen: willkürliche negative Dienstbeschreibungen Hannos, widerrechtliche Verände­ rung positiver Beurteilungen, Beschimpfungen, Entlassungsdrohungen, Verhöhnungen. Das letzte Unglück begann, als gegen Jahresende sechsundneunzig eine junge Frau namens Mona Kudlich als Karenzvertretung eingestellt wurde. […] Ende März, am Gründonnerstag 1997, streute Kudlich kleine bunte Zuckereier von der Zimmertür den Gang entlang über die Stufen hinauf in den ersten Stock. Schau, was der Chef für ein schönes Ostergeschenk hat, sagte sie. Aufheben, alle! Wie aus Gewohnheit bückte sich Hanno, um die nächstliegenden einzusammeln. Erst dann empfand er die Situation als derart entwürdigend, daß er sich aufrichtete, die Eier in seiner Hand einfach fallen ließ und mit den Worten, er sei kein kleiner Bub mehr, an seinen Platz ging. Kudlich war so entgei- stert von seiner Weigerung, daß sie ihn mit offenem Mund anstarrte. Dann stand sie auf, strich sich den Rock glatt und stöckelte aus dem Zimmer. Nach zehn Minuten kam sie zurück. Thaler will dich sprechen. Sofort. Machen Sie keine Geschichten, sagte der stellvertre- tende Gruppenleiter zu Hanno. Irgendwer muß die Eier ja aufheben. Daraufhin verlor Hanno, allein mit Kudlich, seine Beherrschung. Eine hinterfotzige Person sei sie, und ein selten mieser Charakter, sie solle ihn endlich in Ruhe arbeiten lassen. Geschrei, Türeknallen, großer Abgang. Als er, zehn Urlaubstage später, an seinen Arbeits- platz zurückkehrte, wurde er von Thaler schon erwartet: Personalleiter Polanc wünsche ihn umge- hend zu sprechen. […] Die fristlose Entlassung wurde von Hanno Salzmann wegen Sittenwidrigkeit angefochten und per 30. Juni 1997 vor dem Arbeitsgericht in eine einvernehmliche Lösung des Dienstverhältnisses umgewandelt. Er litt noch lange unter Schlafstörungen und Angstzuständen. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 Nur zu Prüfzwecken – igentum des Verlags öbv

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