Literaturräume, Schulbuch
402 DIe gegenWartslIteratur – mIt österreIchschWerpunkt Am neuen Arbeitsplatz Angenommen, daß Hanno Salzmann zwei Jahre lang Arbeit sucht; endlich am Fließband einer Fabrik dreißig Fahrminuten außerhalb der Stadt anfangen darf; sich hocharbeitet zum Meßtechniker; von seinem Gruppenleiter mehrmals für Fleiß und Genauigkeit belobigt wird; wirklich kein Wort über die Geschichte seiner Familie fallenläßt; eines Tages im Februar 2006, während der Vormittagsschicht, die von sechs bis vierzehn Uhr dauert, am Meßgerät stehend in seine Arbeit vertieft ist, so daß er die Schritte, die näher kommen, nicht wahrnimmt; von einem Knall, knapp neben seinem rechten Ohr, einige Sekunden lang betäubt ist; herumfährt und in die lachenden Gesichter von drei Arbeitskollegen blickt; denjenigen, der den aufgeblasenen Papiersack zerplatzen hat lassen, sagen hört: Das nächste Mal ist Gas drinnen; aufschreit vor Schreck und Wut und vom zweiten zurechtgewiesen wird: Reg dich nicht auf, sonst kannst du gleich in deine Heimat zurück- gehen. Daß der mit dem ersten Satz sich bei Hanno am nächsten Tag entschuldigt, der mit dem zweiten kurz darauf entlassen wird, wegen einer anderen Verfeh- lung. Daß die Geschichte also unentschieden endet, vorläufig. AUFGABEN > Fassen Sie die Schachzüge zusammen, mit denen Salzmann „zur Strecke gebracht wird“! > Versuchen Sie zu erklären, weshalb gerade Kudlichs Aktion Widerstand in Salzmann erregt! > An welche historischen Demütigungen erinnert Kudlichs Manöver? 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 Tatsächlich ein Unentschieden oder gar ein Sieg oder wieder eine Niederlage? Ich bin neulich in Wien von einem Neonazi aus der U-Bahn getrieben worden. Er wollte sich mit einer Ausländerin anlegen, die mir gegenübersaß. Ich mischte mich ein und war nun selbst das Objekt, mit dem er sich befasst hat. Er hat mich dann als Juden beschimpft. Es ist schwer zu widersprechen, wenn man als Jude beschimpft wird. Soll man sagen: „ Nein, ich bin keiner […] “ ? Das ist eine ganz seltsame Situation. Als ich aussteigen wollte, hat er mir von hinten einen Tritt versetzt, so dass es mich richtig aus der U-Bahn geworfen hat. Wie haben die anderen Fahrgäste auf die Auseinander setzung reagiert? Es hat mir niemand geholfen. Als er mich ange- schrien hat, ich solle aussteigen, weil er keine Juden in der U-Bahn dulde, haben alle anderen schweigend zugehört und möglichst nicht hergeschaut. Das ist eine ungute Situation. Man ist dann plötzlich sehr allein. Weshalb ist es in unseren Breiten der Normalfall, nicht einzuschreiten, sondern nur zuzuschauen? Naja, wir haben eine sehr späte Demokratie […]. Wir leben in einem Land, das […] zu wenige selbstbewusste Bürger hat, die für ihre Gesinnung und für ihre Rechte öffentlich einstehen. Stattdessen wird immer noch nach dem starken Mann oder nach einer Ordnungsmacht gerufen. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 AUFGABEN > Mit welcher Berechtigung kann der Autor das Buch mit dem „Satz vom Unentschieden“ schließen? Erklären Sie, ob er dieses „Unentschieden“ für gesichert hält! > Erklären Sie auf Basis aller zitierten Textstellen, weshalb gerade Menschen wie Hanno Salzmann zur Aggressionszielscheibe werden! > Lesen Sie folgenden Ausschnitt aus einem Interview mit dem Autor Josef Haslinger und diskutieren Sie darüber, ob das Ereignis, von dem Haslinger berichtet, als „Unentschieden“, „Sieg“ oder „Niederlage“ zu werten ist. Nur zu Prüfzwecken – Eig ntum des Verlags öbv
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