Literaturräume, Schulbuch
408 DIe gegenWartslIteratur – mIt österreIchschWerpunkt Eine einfache Handlung: Stefan, Deutschlehrer, reist ab Dem Hauptakteur von „Selina“ – von der Kritik beschrieben als „Ausnahmewerk“ , als „wunderbarer Roman“ , als „vollkommenes Buch“ und in der Folge in Originalschreibung zitiert – geht es so wie vielen „Helden“ im Werk Kappachers: Er will sein Leben ändern. Stefan, um die vierzig, Deutschlehrer aus Salzburg, nimmt deshalb ein Jahr „Auszeit“ von der Schule: „Schon lange hatte ich mir nicht mehr vorstellen können, noch mindestens zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre bis zur Pensionierung im Schuldienst zu verbringen, seit mir klar geworden war, daß meine Vorstellungen vom Unterrichten nicht mehr gefragt waren. […] Leider hatte ich auch mit jenen wenigen [Kollegen], die etwa wie ich dachten, nicht reden können; kurz vor ihrer Pensionierung ließen sie sich auf nichts mehr ein.“ Auch die Beziehung zu seiner Freundin ist am Ende. Stefan reist in die Toskana, um an einem Buch zu schreiben. Dort trifft er zufällig auf Heinrich Seiffert, einen Deutschen, der seit seiner Pensionierung in der Toskana lebt und Ste fan einlädt, das verfallene Bauernhaus Mora, das er vor einiger Zeit gekauft hat, instand zu setzen. Stefan nimmt die Einladung an, renoviert nach und nach das Haus, mäht, senst und schneidet die wuchernde Natur. Er beob achtet das Getier in den Ritzen der Hauswände und Höhlen des Stalles, gewöhnt sich an das Leben ohne flie ßendes Wasser und Strom, freundet sich mit Bewohnern der umliegenden Dörfer an, wie mit Mario und den Marinis, und genießt die Abende vor dem Haus mit dem Blick auf den Sternenhimmel. Doch die absolute Ein samkeit und die Befreiung vom Gewohnten bringen auch Ängste und Todesvisionen. Und auch dem realen Tod begegnet Stefan: Als er Seiffert wieder einmal besuchen will, erfährt er von dessen Begräbnis. Die neue, „italienische“ Erfahrung Mit dem Ausbrechen aus der alten Routine verändert sich auch Stefans Persönlichkeit: „Am meisten verblüffe ihn, daß er nie das Gefühl habe, etwas zu versäumen […]. Auf die Uhr schaue er nur, wenn er nachmittags einkaufen fahre, denn die Läden öffneten ja erst gegen 17 Uhr, aber auch das sei egal: wenn er zu früh dran sei, setze er sich in die Bar und übe sich im Italienischen, indem er die Gazetto dello Sport lese. Die Schule sei unendlich weit weg.“ Alles, was er von zuhause erfährt, erscheint ihm, „als wäre es jenseits des Atlantiks“. Stefan versucht für sich selbst zu klären, wodurch sich sein Leben in der Toskana von dem in Salzburg unterscheidet, sogar in einer großen Stadt wie Arezzo, wohin er manchmal fährt, um sich Baumaterial zu besorgen: AUFGABE > Informieren Sie sich zum Beispiel auf Basis von http://de.wikipedia.org/wiki/Liste − von − Literaturpreisen über Preisträger, Jury, Vergabemodalitäten, Geschichte, Ziel einiger Sie interessierender Preise! Die Grappa vor der Heimfahrt trank er meist auf der Terrasse des Café Moderno. Er hätte nicht erklären können, warum er hier immer wieder gerne saß. Die Aussicht auf den Platz, wo Leute kreuz und quer herumhasteten oder auf Motorrädern und Rollern herumlärmten, wo Lieferwagen herum- fuhren, anhielten und die Motoren laufen ließen, war nicht die allerschönste. Scheußliche Kaufhaus- fronten, Allerweltläden, wie überall. Warum fühlte er sich zuhause in Salzburg fremder als hier? Es mußte etwas mit dem Einander-gelten-Lassen der Menschen zu tun haben. 2 4 6 2 4 8 10 12 6 8 10 AUFGABEN > Welche Unterschiede bemerkt Stefan zwischen dem Leben in Österreich und dem in der Toskana? > Welcher Vergleich verdeutlicht die große Entfernung vom Gewohnten? > Mit welchem Begriff bezeichnet Stefan das von ihm in der Toskana wahrgenommene Verhalten der Menschen? Die Idylle gibt es nicht Doch Kappacher schreibt keinen trivialen „Aussteigerroman“, welcher der „schlechten“ Welt eine makellose Idylle entgegensetzen möchte. Auch rund um Stefans Rückzugsort Mora gibt es Böses. So erinnert sich Stefan an einen Vorfall von früher: Wie er mit dem Simca [eine alte Automarke] auf dem schmalen Weg den 500er Fiat von Antonio, dem Sohn Augustos, auf einer Fahrt nach Gello leicht gestreift hatte. Der Fiat war in einer Links- kurve so abgestellt gewesen, daß er fast nicht vorbeikam, ohne in den Graben zu rutschen. Es handelte sich um ein paar Kratzer in dem ohnehin verbeulten Kotflügel. Mario erzählte ihm dann ein paar Tage später, jemand habe ihm gesagt, Nardo Marini habe mit dem Anzünden von Mora gedroht. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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