Literaturräume, Schulbuch

Keine Ökotraumwelt, sondern Ängste Wuchernde Wildnis, vom Wasser unterhöhlte Wege, alle möglichen Tiere im Haus, Eidechsen, Skorpione und „schwarze kleine Tierchen, die bloß ihre Beine, die wie Greifarme oder Zwicker aussehen, ein wenig aus den Löchern herausragen ließen“ , sowie die manchmal drückende Einsamkeit ergeben immer wieder bedrohliche Momente: Eine besondere Herausforderung: die ungebetenen Gäste 409 der leseraum Auf einmal hatte er beim Schauen in den nächt- lichen Himmel einen ungeheuren Sog verspürt. Der Ausschnitt des sichtbaren Universums schien sich genähert zu haben […] und auf einmal hatte er gespürt, wie es ihn hineinzog in die Sternenschauer, unwiderstehlich in die Tiefe des Raums. […] Alle Sicherungen, die er wie jedermann entwickelt hatte, hatten sich aufgelöst. Als wäre auf einer Wanderung im Hochgebirge durch Felsstürze vor und hinter seinen Füßen plötzlich alles weggebrochen, und er verliere das Gleichgewicht. […] Das traumatische Erlebnis, der Sturz vom Fahrrad bei Maria Plain einen steilen Hang hinunter, als er mit vierzehn Jahren mit dem Rücken auf eine Felsplatte prallte und keine Luft mehr bekam, am Ersticken war. Das hatte wahrscheinlich bloß einige Sekunden gedauert, wenn es ihm auch sehr lange vorgekommen war. Der Schrecken der Nacht neulich hielt viel länger an. […] Mehrmals war er nahe daran gewesen, alles in Mora liegen und stehen zu lassen, heimzufahren […]. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Der Raum, das größte Zimmer des Hauses, war noch ohne Tür; den früheren Zugang von der Gemeinschaftsküche aus hatte Mario mit Ziegeln zugemauert. Gegen elf Uhr beugte er sich aus dem Küchenfenster, um zwei verdorbene Tomaten ins Gestrüpp zu werfen. Eine lange dunkelgrüne Schlan- ge flitzte zwischen der Hausmauer und dem Pfad, der zum Backofen führte, entlang, verbarg sich weiter hinten, in dem Unkraut, das an der Haus- mauer entlang wuchs. Er war wütend, weil sie ihn erschreckt hatte, schmiß eine Kachel, die als Untersetzer diente, nach ihr und verfehlte sie knapp; sie floh ins Stallgewölbe, in dessen dunklem hin- terem Teil altes Gerümpel, Korbflaschen aller Größen, schadhafte Ziegel lagen und wo er einen Küchentisch gefunden hatte, auf dem er jetzt meist vor dem Haus Gemüse schälte und schnitt. Eine halbe Stunde später beugte er sich langsam aus dem Küchenfenster; da sah er, wie sich die dicke, einen knappen Meter lange Natter, die er noch nie gesehen hatte, mit der Hälfte ihrer Länge aus einem Spalt des Gemäuers schräg unterhalb des Küchenfensters hängen ließ und sonnte. Als er sich weiter hinaus- beugte, zog sie sich zurück in das Loch. Insgeheim bat er sie nun um Verzeihung wegen des Attentats und wollte ihr Wohnrecht im Gemäuer nicht mehr in Frage stellen. […] Erstmals stellte er den Wagen in die schattige Schneise nahe der Auffahrt zu den Marinis und nahm, Plastiksäcke in beiden Händen, den Abkür- zungsweg nach Mora. Er konnte diesmal keine Steine aufheben und vor sich her werfen. […] Ein paradiesischer Ort, dachte er. Hinter sich hörte er vom Hang herunter ein Rinnsal gluckern, das dann unter dem Weg durchfloß. Er hockte sich hin, pflückte ein paar Blüten, zerrieb sie mit Daumen und Zeigefinger und roch daran. Da lähmte etwas ihn vor Angst, noch ehe er sah, daß über ihm auf einem ebenen Vorsprung des abfallenden Gesteins eine dicke Schlange in Angriffstellung war; ihr Leib hörte gerade auf, sich einzuringeln, der Kopf zog sich zurück. Vor Schreck rührte er sich nicht, dachte bloß, es ist aus, kein Mensch wird mich finden hier. Er überlegte, sich zurückfallen zu lassen. Starr blickte er auf das Knäuel vor sich. Der Kopf der Schlange bewegte sich fast unmerklich hin und her, als peile sie den besten Zielpunkt an, der Leib verschob sich immer noch etwas ineinander, als sei das Maximum an Anspannung, an Sammlung für den Angriff noch nicht völlig erreicht. Es ist aus ... Wie weit würde er sich schleppen können, wie lange würde er brauchen bis zum Auto, und würde er überhaupt fahren können? […] Bis nach Arezzo würde er es nicht schaffen in einer halben Stunde, und dann erst das Krankenhaus suchen in dem chaotischen Verkehrsgewühl ... Der Kopf der Viper zitterte leicht hin und her. Wie gelähmt war er zuerst nicht imstande, aufzustehen; er überlegte, wie lang diese Konfrontation gedauert hatte, der Moment des tödlichen Erschreckens. Wahrscheinlich waren es bloß fünf oder zehn Sekunden gewesen – bis die 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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