Literaturräume, Schulbuch

413 DER LESERAUM Das Nachwort des Herausgebers Fast jedes Buch verzeichnet auf der Titelseite Folgendes: Autor/Autorin, Titel, Verlag – und – seltener auch Herausgeber oder Herausgeberin, also diejenigen, die aus einem oder mehreren Texten ein Buch machen. Beson- ders selten aber ist, dass ein Herausgeber zu einem Buch mit 108 Seiten ein 35-Seiten-Nachwort verfasst. Die folgenden Stellen aus dem Nachwort geben Ihnen die Begründung dafür. Zu Ihrer Orientierung ist den Aus- schnitten jeweils eine nicht vom Herausgeber stammende Ordnungszahl vorangestellt. Allein zu leben ist furchtbar besonders dann wenn man von Menschen gehen muss die man liebgewon- nen hat und dass ich Dich liebgewonnen habe, Dich geehrt und geschätzt habe musst Du gefühlt haben. Nur eines tut mir noch immer weh! Du sagtest kein einziges Wort vom Wiedersehen o[der] vom dableiben oder vom wiedertre en irgendwo irgend einmal. Aus dem achten Brief; Palästina, 1. 11. 1946 […] Du hast vollkommen recht wenn Du behauptest dass wir in der Tiefe unseres Herzens alle Sehnsucht haben nach der behaglichen Bürgerlichkeit […]. Auch ich: Gerade ich denn was andere ein ganzes Leben besassen und nicht zu schätzen wussten, hat mir gefehlt. Bei Dir zu Hause […] fühlte ichs; aber das ist schon wieder alles vorbei und leider hast Du noch den Satz in Deinen letzten Brief hinzugefügt dass es Dir vorkommt als ob alle Brücken hinter Dir gefallen wären. Habe ich wieder in Illusionen gelebt? War unser Zusammenleben nur eine zufällige Episode? Ich habe das viel tiefer empfunden, vielleicht gehe ich den Dingen zu sehr auf den Grund. Doch für mich war es kein blosses Zusam- mentre en, für mich war es ein Beweis dass trotz allem was auch über unseren beiden Völker herein- brach noch ein Weg gibt - den der Liebe und des Verständnisses. Aus dem elften und letzten Brief; Palästina, 16. 17. 1947 […] Dein Brief war wirklich lieb, aber nicht nur das, er war aufrichtig, ausführlich, o en, freundlich und intellegent. Wenn ich Deine Zeilen lese so kann ich nicht umhin, Dich immer von Neuem zu bewun- dern. Nicht viele Mädels in Deinem Alter wären imstande sich so mit ihrer Zeit und ihren Problemen so auseinanderzusetzen, wie Du es tust. Du hast in diesen Jahren der Probe gelernt, bist geistig und menschlich vorwärtsgekommen, während die Mehrzahl Deiner gleichaltrigen Zeitgenossen stehengeblieben sind und was noch schlimmer ist, sie werden sich überhaupt nicht mehr entwickeln können. […] Wer glaubte es dass im Jahre 1938 ein Kind allein in der Welt herumirren zu sehen, nur weil es als Jude geboren wurde? Wer wollte es wahr haben, dass ja gerade die Verantwortlichen, für die Erziehung und Entwicklung der Kinder also Vater und Mutter in irgend einer Gaskammer verelenden mussten? Es war eine grausame Zeit – eine Zeit die man noch kaum heute zu verstehen vermag. So gewaltig waren die Zerrüttungen, so unglaublich viel ist in diesen Jahren auf uns niedergesaust. Deshalb, bin ich zufrieden, ich könnte ja ebenso gut in irgend einem Massengrab in Polen o[der] Deutschland o[der] gar in meiner ALTEN HEIMAT Österreich verfaulen. Glücklich aber bin ich nicht. Von der Lebensfreude, von der Menschen in meinem Alter besessen sein sollten, ist mir viel verloren gegangen. Ich bin viel allein. Wohl habe ich mir Freunde gefunden, meist auch Wiener. Doch sie alle haben ähnliches oder noch schlimmeres erlebt. Sie alle können nicht mehr froh werden, man versucht zu vergessen, vertieft sich ins Schweigen und vergräbt sich so umsomehr ins Vergangene unvergessliche. Wer kann seine Eltern vergessen? Wer seine Ge- schwister und Freunde? Wer vergisst seine Heimat? 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 AUFGABEN > Markieren Sie – eventuell mit unterschiedlichen Farben oder Randbemerkungen – jene Briefstellen, in denen Hamesh über seine Beziehung zu Ingeborg Bachmann, über seine Zukunft in Palästina und sein Leben als vertriebener österreichischer Jude schreibt. > Fassen Sie diese drei emen der Briefausschnitte jeweils zusammen. Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv

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