Zeitbilder 4, Arbeitsheft
51 Indien heute Arbeitsauftrag 1: Lies den folgenden Zeitungsartikel. Formuliere danach Fragen zum Text, die du deiner Banknachbarin oder deinem Banknachbarn stellst. Arbeitsauftrag 2: Berichte über die Ausbildung und die Arbeit von Priyana Roshan. Vergleiche das Leben Fazilas mit dem von Priyana. Zwischen Ratten und Lumpen Q Kann man sich jemals an den Gestank, an den dauernden Brechreiz gewöhnen? Für Fazila stellt sich diese Frage nicht einmal. Dem Mädchen bleibt keine andere Wahl – es lebt vom Müll. Jeden Tag in aller Frühe, bevor die Läden ihre Gitter hochrollen, zieht die Elfjährige durch die Viertel, um mit bloßen Händen die Müllcontainer zu durchwühlen: nach Papier, leeren Flaschen, Tüten, Blech, Glas oder anderem Verwertbaren. Manchmal findet Fazila Essensreste, die noch appetitlich und frisch aussehen. Dann füllt sie sich den Bauch damit, bevor es Ratten und Krähen tun. Oder verkauft die Abfälle als Kuhfutter. Die anderen Sachen stopft sie in einen großen Sack, der genauso dreckig und zerfetzt ist wie ihre Kleidung. Ihre Tagesbeute bringt sie zu einem Händler, der ihr ein paar Rupien dafür gibt. Ihr Vater ist tot, die Mutter schwer krank. Und es lastet auf ihr und ihrem zwölfjährigen Bruder, die Familie durchzubringen. (…) Der Aufschwung der vergangenen Jahre hat Wohlstandsoasen geschaffen, aber noch immer herrscht Massenarmut. 3000 bis 4000 Kinder sterben jeden Tag an Hunger und den Folgen. Jahr für Jahr drängen mehr Menschen in die großen Städte, um dem Elend auf dem Land zu entrinnen. Sie sind die armseligen Glücksritter der Moderne, die hoffen, in den Megacitys eine bessere Zukunft zu finden. Viele enden als Müllsammler. Auch die Kinder müssen oft aushelfen, damit das Geld reicht. Andere sind Straßenkinder, die sich ohne Eltern durchschlagen – und oft durchaus stolz darauf sind, dass sie nicht betteln, sondern eigenes Geld verdienen. (…) Müllkinder werden nicht alt. Sie atmen giftige Dämpfe und schädlichen Rauch ein, schneiden sich an scharfen Gegenständen und leiden an verdreckten Wunden, die sich schnell lebensgefährlich entzünden können. Viele sind mangelernährt, anämisch und anfällig für Tuberkulose und Krebs. Die elternlosen Straßenkinder werden zudem häufig Opfer von Gewalt. Prügel und Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. Viele schnüffeln Klebstoffe, um der brutalen Realität wenigstens für eine kurze Zeit zu entfliehen. Fazila hat zumindest ein Zuhause, so bitterarm es auch sein mag. Am Mittag, nach ihrer ersten Tour, kommt sie heim, wäscht sich den Dreck und Gestank vom Leib und kocht, bevor sie zur zweiten Mülltour aufbricht. Manchmal träumt sie davon, Lehrerin zu werden. Aber die Arbeit lässt ihr selten Zeit, zur Schule zu gehen. Ihr kostbarster Schatz ist eine alte Puppe, die sie im Müll gefunden hat. Nachts hält sie sie im Arm – als wolle sie sich an die Illusion einer Kindheit klammern, die in Wahrheit doch längst zu Ende ist. (Stuttgarter Zeitung, 7.10.2012) Priyana Roshan, 35, IT-Expertin, berichtet Q Ich habe an einer Technischen Universität in Südindien Informatik studiert. Im Studium waren wir etwa ein Drittel Frauen und zwei Drittel Männer. Das Studium war hart, aber ich habe mich immer für Technik interessiert. Ich stamme aus einer typischen indischen Mittelschichtsfamilie. Meine Eltern haben mich unterstützt, einen Beruf in einer Männerdomäne zu ergreifen. Nach dem Abschluss habe ich einige Zeit lang für große Unternehmen gearbeitet. Aber die Arbeitszeiten sind besonders bei den amerikanischen Unternehmen hart. Man arbeitet in Schichten und häufig nachts, weil man wegen der Zeitverschiebung dann die Kollegen in den USA im Büro erreicht. Da ich einige sehr schwierige Fortbildungen gemacht habe und mich damit spezialisiert habe, bin ich schnell aufgestiegen. Nach einigen Jahren habe ich sogar ein Team geleitet. Ich war eine von ganz wenigen Frauen. In der IT- Industrie arbeiten etwa 30 Prozent Frauen, aber nur wenige steigen in Leitungspositionen auf. Die amerikanische Firma hat mir das Angebot gemacht, in die USA zu wechseln. Aber das wollte ich nicht, auch wenn ich dort deutlich mehr Geld verdient hätte. Meine Familie lebt hier in Indien. Für meinen Mann wäre es nicht infrage gekommen, seine Frau ins Ausland zu begleiten. (http://www.karriere.de) Zu den Schulbuchseiten 106 und 107 Weltpolitik nach 1945 – Viele Welten in einer Welt Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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